0945 - Verdammte Totenbrut
hatte sie nie gespürt, aber plötzlich überkam es sie, obwohl das Haus nicht anders aussah als sonst und völlig normal war. Hinter einigen Fenstern brannte Licht, aber es herrschte nicht der Betrieb der Woche wie sonst, der würde erst in zwei Tagen wieder beginnen. Die Bewohner hatten länger geschlafen.
Niemand war zur Arbeit gefahren, die Fahrzeuge standen nach wie vor auf dem Platz vor dem Haus.
Die Scheiben waren zugefroren.
Trotzdem zitterte die Frau. Sie saugte scharf die kalte Luft ein. Es war noch düster, die Sonne hatte sich noch nicht durchsetzen können! Dafür war Morgendunst aufgekommen, der sich besonders dicht über die zahlreichen kleinen Gewässer innerhalb der Stadt legte und nun langsam zwischen den Häusern trieb. Das Wetter konnte sich einfach nicht entscheiden. Es wurde nicht richtig hell, es war auch nicht dunkel, der Tag würde immer unter dieser Grauzone liegen, und so ähnlich konnte Wendy auch ihre Stimmung bezeichnen.
Die Haustür war geschlossen. Niemand hatte sie aufgebrochen. Wendy schloß die Tür auf, das war das einzige Geräusch in der Stille. Im Flur war es wärmer. Obwohl sie die Dunkelheit nie gestört hatte, kam sie Wendy doch anders vor, und sie schaltete das Licht ein.
In einer der oberen Etagen schlug eine Tür. Dann hörte sie eine Stimme und die schnellen Schritte.
Eine Mieterin erschien, eingepackt in einen dicken Mantel und eine Einkaufstüte schwenkend. Sie passierte Wendy so schnell, daß sie kaum Zeit für einen Gruß ließ.
Vor der Wohnungstür stoppte die Frau noch einmal. Den Schlüssel hielt sie bereits fest, schob ihn aber noch nicht in das Schloß. Dafür beugte sie sich vor, um zu lauschen. Dabei legte sie ihr Ohr gegen das Holz - und schreckte zusammen, als sie die Geräusche mitbekam.
Die waren nicht normal!
Stöhnen, Wimmern und ähnliche Laute hörte sie ziemlich genau. Wendy fing an zu zittern. Es überkam sie der Gedanke, einfach zu verschwinden, dann aber riß sie sich zusammen. Sie konnte nicht immer weglaufen. Sie hatte William versprochen, zu ihm zu halten, auch in schlechteren Zeiten.
Jetzt gab es Probleme, und wenn möglich, dann mußten sie gemeinsam durchgestanden werden.
Wendy sorgte dafür, daß so wenige Geräusche wie möglich entstanden, als sie den Schlüssel ins Schloß schob. Das leise Kratzen nahm sie zur Kenntnis. Sie drehte den Schlüssel zweimal herum, der Widerstand war plötzlich verschwunden, und mit dem Knie schob sie die Tür auf.
Das Wimmern verstärkte sich.
Im Wohnungsflur brannte kein Licht, so daß Wendy im ersten Moment nichts sehen konnte. Sie war irritiert, als es still wurde, als würde jemand den Atem anhalten.
Sie betrat die Wohnung. Der Schlüssel am Bund klimperte; das Geräusch begleitete sie und kündigte ihre Ankunft an.
Wo steckte William?
Sie schloß erst die Tür auf, dann machte sie Licht, drehte sich wieder um.
Der Schock erwischte sie wie ein Tiefschlag.
William Cox war früher zurückgekehrt. Er lag auf dem Boden. Angeschlagen, wimmernd und blutend…
***
Im ersten Augenblick war Wendy unfähig, etwas zu tun. Sie schaute ihrem Freund ins Gesicht und hatte dabei den Eindruck, als hätte sich dieser einen Scherz erlaubt und sich eine Maske übergestülpt, um nicht sofort erkannt zu werden. Sein Gesicht war noch vorhanden, aber es sah nicht mehr so aus wie sonst.
Die Haut mußte mit irgendwelchen Instrumenten gefoltert worden sein, denn es zeigten sich in seinem Gesicht zahlreiche Schnittwunden, als wäre er von einem Gegner mit Rasierklingen traktiert worden. Er lag auf dem Boden, aber nicht flach, sondern hatte sich auf den angewinkelten Arm gestützt und sein Gesicht der Tür und damit der eintretenden Wendy zugedreht. Wenn sie nicht alles täuschte, lag auf seinen Lippen sogar ein verzerrtes Lächeln, mehr ein gequältes Grinsen, doch in den Augen las sie ein anderes Gefühl.
William war froh darüber, nicht mehr allein zu sein und endlich Hilfe zu bekommen.
Sie ging langsam auf ihn zu. Dabei lächelte sie oder bemühte sich darum. Einige Male zuckten ihre Lippen, sie bewegte auch die Augen, den Mund, sie wollte etwas sagen, aber es drang kaum ein Wort über ihre Lippen, nur Fragmente, und die verstanden weder sie noch er.
Neben dem Mann ging sie in die Knie. Erst jetzt sah sie auch, daß seine Kleidung zerfetzt war. Wie von langen Messerklingen aufgeschnitten. Er hatte seine Winterkleidung abgelegt und trug nur ein blaues Hemd und eine schwarze Hose. Der Hemdenstoff war
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