0946 - Angst um Lucy
es getötet, und er hat auch Lucy getötet.«
Die Freundin nickte. »Zum Teil hast du recht. Lucy ist auch getötet worden…«
»Der – der andere nicht?« Das Kind fing an zu stottern. Durch Kopf und Körper bohrte sich etwas Glühendes, von dem es nicht wußte, was es war.
»Leider nicht. Das Phantom gibt es noch. Es huscht als Schatten durch die Welten. Es will auch zu dir; es ist schon gekommen, aber es war noch zu schwach. Es war noch zu sehr Schatten, aber es wird immer stärker werden, um sich dein Blut zu holen. Beim nächsten Angriff hätte es dann richtig zugebissen und dir keine Chance mehr gelassen, kleine Lucy. Deshalb mußte ich dich endlich wegbringen. Die anderen konnten dich nicht beschützen, auch deine Eltern nicht. Ich werde dafür sorgen, daß dir nichts passiert.«
Lucy Tarlington konnte nur staunen. »Du willst als Freundin bei mir bleiben?«
»Ja, das hatte ich vor.«
»Für wie lange?«
Die Freundin drückte sich um eine konkrete Antwort. »Damit hast du ein großes Problem angesprochen. So lange, bis es das Phantom nicht mehr gibt.«
»Kann es denn sterben?«
»Ich fürchte – nein!«
Das Kind fing an zu zittern. »Dann – dann bin ich ja immer in Gefahr – oder?«
»Es würde darauf hinauslaufen«, gab die Freundin zu. »Aber ich habe, so denke ich, einen Weg gefunden.«
»Welchen denn?«
Die Freundin beugte sich nach vorn und lächelte sanft. »Du erinnerst dich an die Männer, die dir geholfen haben, nicht wahr?«
»Ja, ja.« Lucy nickte. »Sie waren sehr nett. Aber sie sind wieder weg. Sie wohnen in London.«
»Das weiß ich. Und ich weiß auch, daß eigentlich nur sie das Phantom besiegen können.«
Lucy überlegte einen Moment.
»Dann – dann mußt du sie eben holen, Freundin. Hierher am besten.«
»Das wäre sicherlich gut, Kleines, aber das geht nicht. Das Phantom wird diese Welt der Seelen nicht betreten. Sie ist für dieses Wesen gesperrt. Es wird auf eine andere Möglichkeit lauern. Es weiß jetzt, daß du unter meinem Schutz stehst. Und es geht davon aus, daß dies nicht für alle Zeiten so ist. Es weiß, daß ich mich von dir trennen werde, trennen muß, denn ich darf dich nicht einfach aus deinem Leben hervorzerren. Dann wird es sich dein Blut holen wollen, und du wirst dich dagegen nicht wehren können. Doch die anderen können es. Die Männer, die schon bei euch in Lianfair waren. Zu ihnen möchte ich dich gern bringen. Zu John Sinclair oder zu Bill Conolly, zu beiden vielleicht.«
Wieder hatte Lucy Tarlington mit offenem Mund zugehört. Sie konnte es noch nicht fassen. In der letzten Zeit war der Weg des Schicksals in vielen Kurven verlaufen. Lucy mochte die Fremden, die ihr nicht mehr so fremd waren, aber sie dachte auch an ihre Eltern und konnte damit einfach nicht hinter dem Berg halten.
»Es ist gut, daß du sie ansprichst«, sagte die Freundin. »Sie machen sich große Sorgen.«
»Ja, besonders meine Mummy.«
»Dann werden wir ihnen erklären, daß sie sich keine Sorgen zu machen brauchen.«
»Ach.« Freude schoß in dem Kind hoch, wurde aber gedämpft, als sie nach dem WIE fragte.
»Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen, Kleines. Du mußt mir nur weiterhin vertrauen.«
»Das tue ich doch auch, Freundin.«
»Wunderbar.« Das Wesen trat oder schwebte nach vorn, so genau konnte Lucy es nicht erkennen.
Plötzlich fühlte sie sich umfangen. Die Arme der anderen umschlangen ihren Hals, und Lucy überkam wieder der Eindruck, einfach ins Leere zu fliegen.
Weg, nur weg…
Aber wohin?
***
Beide hatten geweint. Donna noch mehr als ihr Mann Jack. Auch als Mann hatte er sich seiner Tränen nicht geschämt. Er saß zusammen mit seiner Frau im Wohnzimmer auf der Couch, so dicht zusammen, daß sich beide Körper berührten, als wären sie in der Lage, sich auf diese Weise Trost zu spenden, den sie auch nötig hatten.
Die Stille wirkte auf sie belastend. Sie war wie ein Druck, dem keiner von ihnen ausweichen konnte. Sie belastete und bedrückte sie und drang wie ein stumpfes Messer in ihre dumpfen Gedanken ein.
Mehrmals hatten sie versucht, den anderen anzusprechen, doch es war ihnen nie gelungen. Für sie war es einfach zu schwer, die richtigen Worte zu finden.
Irgendwann stieß Jack Tarlington ein tiefes Seufzen aus. Dieses leidend klingende Geräusch ließ seine Frau zusammenzucken, und sie stelle die erste Frage seit langem. »Wie können wir das wieder gutmachen?«
»Was?«
»Wir haben Lucy etwas angetan. Wir haben unsere
Weitere Kostenlose Bücher