0946 - Angst um Lucy
Engel«, sagte ich. »Wir haben Ihr Erscheinen selbst erlebt, Jack.«
»Mein Gott, das ist…«
»Ich möchte Ihnen jetzt keine Erklärungen geben, aber alles ist möglich. Wir bleiben in Verbindung.«
»Und Lucy? Wo sollen wir anfangen, nach ihr zu suchen? Oder wollen Sie das in die Hand nehmen?«
»Nein, wir sind hier zu passiv. Auf der anderen Seite haben wir vor einigen Tagen kräftig mitgemischt, und ich hoffe, daß dieses Vampir-Phantom, falls es trotz allem noch existieren sollte, dies nicht vergessen hat und versuchen wird, sich an uns zu rächen. Aber das ist eine Theorie, wir werden abwarten müssen.«
Ich hörte ihn stöhnend atmen. »Wissen Sie, John, wie schwer das für uns ist?«
»Ja, aber Sie sollten trotz allem nicht verzweifeln.«
»Wir werden es versuchen.« Seine Stimme klang müde, auch dann, als er sich vorerst verabschiedete.
Ich legte den Hörer zurück und bemerkte erst jetzt die Gänsehaut, die meinen Körper umschlossen hielt. Zwei Augenpaare schauten mich an, aber die Fragen konnte ich nicht beantworten.
Schließlich sprach Sheila. »Ich bin ja nicht dabeigewesen, aber was denkt ihr? Was sagt euer Gefühl?«
»Es muß nicht das Vampir-Phantom gewesen sein«, erklärte ich.
»Das sollten wir nicht außer acht lassen.«
»Dann hast du ihn nicht nur beruhigen wollen.«
»Ebensowenig wie Bill.«
Sheila krauste die Stirn. »Und du oder ihr denkt wirklich an einen Engel? An einen Schutzengel?«
Ich hob die Schultern.
»Was sagst du denn dazu, Bill?«
»Ich weiß es auch nicht, was da noch auf uns zukommt. Jedenfalls müssen wir abwarten und können selbst nichts tun. Am liebsten wäre auch mir eine Rachetour dieses Phantoms, in die wir mit einbezogen wären. Dann hätten wir einen greifbaren Gegner.«
Sheila war nicht der Meinung. »Ich weiß nicht«, sagte sie, stand auf und verließ das Arbeitszimmer.
Wir blieben zurück und schauten beide ziemlich befangen und deprimiert aus der Wäsche. Jedenfalls war die vorweihnachtliche Stimmung wieder einmal dahin…
***
»Es ist so schön. Wo sind wir hier? Bitte, Freundin, sag es mir doch. Wohin hast du mich gebracht?«
»In meine Welt, Lucy.«
»Ach ja?«
»Gefällt sie dir?«
»Ja, sie ist wirklich sehr schön. So warm und anders als bei uns zu Hause.«
»Das muß auch so sein.«
»Bin ich denn im Himmel?« fragte Lucy.
Ihre neue Freundin lachte sanft und leise. »Wie kommst du denn darauf, Lucy?«
»So schön kann es nur im Himmel sein. Und du bist ein Engel, Freundin. Du bist ein richtiger Engel, glaube ich.«
»Nein, das bin ich nicht, Lucy.«
»Aber es ist bald Weihnachten. Die Engel sind da auch aus dem Himmel gekommen.«
»Ich bin aber kein Engel.«
»Schade.« Lucys Stimme klang etwas traurig.
»Und wir befinden uns auch nicht im Himmel, meine Kleine. Wir sind hier in meiner Welt, die nicht der Himmel ist, obwohl sie dir fast so vorkommt.«
»Ja, alles ist so rein. Und wenn ich nach unten schaue, dann sehe ich schon meine Füße, aber ich weiß nicht, worauf ich stehe, Freundin. Du denn?«
»Nimm es einfach hin.«
Das wollte Lucy nicht. Sie war viel zu aufgeregt, um jetzt noch schweigen zu können. »Aber ich muß meinen Freundinnen erzählen können, wo ich gewesen bin. Die fragen bestimmt danach, und ich will Ihnen auch von meiner neuen Freundin erzählen. Das bist du doch noch immer, nicht?«
»Das habe ich dir versprochen.«
»Und ich weiß nicht mal, wie du heißt.«
»Möchtest du meinen Namen hören?«
»Ja, das will ich. Gern sogar. Du mußt ihn mir sagen, Freundin.«
Die vertraute Fremde zögerte noch. Sie stand Lucy gegenüber, und an einigen Stellen ihres Körpers strahlte sie wieder. Der Hintergrund war sehr licht und hell. Der Geruch von frischen Blumen oder etwas Ähnlichem erreichte Lucys Nase. Sie standen inmitten einer großen Wiese mit einem Baum darauf, und die Freundin zeigte ein strahlendes Lächeln, wie es nur ein Engel hatte.
»Doch, du bist ein Engel.«
»Nein, aber ich habe einen Namen.«
»Welchen denn?«
»Lucy!«
Das Mädchen hatte ihn zwar gehört, aber es wollte diesen Namen nicht akzeptieren. Zu viele böse Erinnerungen waren damit verbunden, denn sie dachte an die blutige Lucy, die Vampirin, die anderen Menschen das Blut aussaugte. Sie hatte auch einmal Tarlington geheißen und vor mehr als hundert Jahren gelebt, bis sie zu einem Vampir geworden war. Dem Kind war dies bekannt. Es hatte die blutige Lucy selbst kennengelernt, sogar angefaßt hatte es diese Person, und
Weitere Kostenlose Bücher