0947 - Das Voodoo-Weib
was sie konnte. Das Lächeln erreichte die Augen nicht. Es blieb auf den Mund der Person beschränkt.
Dunkle Augen, deren Pupillen ebenfalls dunkel schimmerten. Kleine Öllachen, die von langen Wimpern überschattet wurden.
Die nächste Überraschung bot uns der Körper oder vielmehr die Kleidung. Auch hier fiel sie aus dem Rahmen, denn sie trug kein langes Gewand, wie ich es bei anderen Voodoo-Frauen erlebt hatte, sondern war beinahe nackt, das heißt, ihre Schultern waren von einem Stück Stoff bedeckt, das aussah wie eine dunkle Haut und zugleich sehr steif und sperrig wirkte wie eine Rüstung. Die beiden Teile bedeckten die Schultern und auch die Arme, aber sie liefen nicht über der Brust zusammen, sondern ließen viel von den beiden ebenfalls blassen Rundungen sehen, auf denen dunkle Spitzen wuchsen. Da die Kante des Schreibtisches weit nach unten gezogen war, konnten wir sehen, daß die beiden Hälften des Kleidungsstücks knapp über dem Nabel zusammenwuchsen.
Das also war Leonora Vendre, die Voodoo-Fürstin, die überhaupt nicht in das Bild hineinpassen wollte, das wir kannten. Sie sah nicht exotisch aus, aber ihr Name wies darauf hin, daß sie nicht aus unserem Land stammte.
»Sie haben uns also erwartet, Mrs. Vendre«, stellte ich fest.
»Ja, das habe ich. Aber sagen Sie bitte Leonora. Es klingt viel besser.«
»Warum?«
Sie lehnte sich so weit zurück, bis der Rücken straff gegen die Lehne drückte. »Warum habe ich Sie erwartet?« murmelte sie vor sich hin, um die nächsten Worte lauter zu sprechen. »Eigentlich kann ich Ihnen keinen genauen Grund nennen, es mußte sich einfach so ergeben, denn wir stehen auf verschiedenen Seiten. Ich habe eure Aktivitäten aus einer gewissen Distanz verfolgen und beobachten können. Hin und wieder spricht sich etwas herum, da stehen dann Dinge in den Zeitungen, zwischen deren Zeilen man lesen muß, was ich natürlich auch getan habe. Wir mußten zwangsläufig zusammenkommen, auch wenn es durch einen Verrat geschehen ist, so wie bei uns.«
»Wer hat wen verraten?« fragte ich.
»Bayou mich, seine Brüder, seine Umgebung. Er hat eigentlich alles verraten.«
»Das sehe ich anders.«
»Er war Polizist.«
»War?«
»Er ist so gut wie tot. Ob er nun endgültig aus dem Leben scheidet, das liegt an euch. Aber dazu später.«
Ihre Sicherheit war schon beeindruckend, mich regte sie auf, aber ich hielt mich unter Kontrolle. Suko, der neben mir stand, fragte: »Was sollte uns davon abhalten, Sie jetzt mitzunehmen und einzusperren? Sagen Sie uns das?«
Die Vendre lachte. »Glauben Sie etwa daran, das schaffen zu können?« In ihrer Frage schwang ein gewisser Hohn mit. »Sie sind von draußen gekommen, Sie wissen, daß dort die Hölle kocht. Die Menschen hier wollen sich nicht mehr alles gefallen lassen. Sie sind im Umbruch, in Aufruhr, denn sie haben den Jahrestag nicht vergessen. In Brixton wird die Hölle wieder lebendig, und ich gehöre zu den Führern. Sie würden es nicht schaffen, mich aus diesem Haus herauszubringen, nein, das wäre unmöglich, denn ich habe hier viele Freunde. Sie müssen schon nach meinen Regeln handeln, und - glauben Sie mir, ich bin gut vorbereitet.«
»Zweifelsohne«, gab ich zu. »Wir wissen auch, wie menschenverachtend sie sind. Vier Tote reden eine deutliche Sprache. Menschen, deren Haut einfach verging, so daß von ihnen nur dunkle Skelette zurückblieben. Das ist Ihre Spur, Leonora.«
Sie ließ sich mit der Antwort Zeit und fixierte uns. Dann fragte sie: »Glauben Sie denn im Ernst, daß ich sie einfach umgebracht oder geopfert habe?«
»Was sollen wir sonst glauben?«
»Die Wahrheit.«
»Ihre Wahrheit«, sagte Suko.
»Und die echte!« erklärte sie mit einer gewissen Überheblichkeit. »Diese vier Personen tragen selbst die Schuld daran, daß sie diesen Tod gestorben sind. Sie waren einfach nicht stark genug, um mit den Kräften zurechtzukommen.«
»Mit welchen?«
»Mit denen, die ich beherrsche, Sinclair. Mit meiner geheimnisvollen Voodoo-Magie. Sie wollten es lernen, sie wollten alles haben, an meiner Seite stehen, aber sie waren nicht reif genug, um dem Zauber zu widerstehen.«
»Und die Angriffe auf uns? Waren diese Personen reif und stark genug?«
»Nein, sonst wärt ihr nicht hier. Da habe ich mich geirrt, denn ich unterschätzte euch.« Sie hob, die Schultern. »Es wird nicht mehr vorkommen. Ich habe euch das geschickt, was ich mir ausdachte, denn das Spiel ist nicht so einfach, wie ihr denkt. Es gibt gewisse
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