0948 - Der Hort der Sha'ktanar
ihm stand Andreas. Und er war um keinen Tag gealtert.
***
Gegenwart
Dylan McMour stand am Fenster seines Zimmers und sah hinaus auf den Park, der Château Montagne umgab. Ein idyllisches Bild bot sich ihm. Die Vormittagssonne strahlte auf den saftigen Rasen, die vereinzelten Blumenanpflanzungen und kräftigen Bäume herab. Das Panorama jenseits der Schlossmauer mit seinem Blick auf die Loire und das Dorf im Tal blieb zwar hinter dem zurück, wie man es von Zamorras höher gelegenem Arbeitszimmer aus genießen konnte, aber es wirkte immer noch erhaben genug.
Er lebte in einem herrlichen Schloss inmitten fantastischer Natur - und trotzdem hatte er Heimweh. Es zog ihn nach Schottland. Nach Glasgow. In die eigenen vier Wände. Nach Hause zu den Freunden, die er inzwischen seit zweieinhalb Jahren nicht mehr gesehen hatte. Gut, über die Hälfte dieser Zeit hatte er mittels eines unfreiwilligen Zeitsprungs überbrückt, den ihm der Druidenvampir Matlock McCain eingebrockt hatte. [1] Selbstverständlich war er auch vor seiner Zeit auf Château Montagne häufig unterwegs gewesen, immer auf der Spur ungewöhnlicher Ereignisse - und stets vom Ehrgeiz besessen, deren natürliche Erklärbarkeit nachzuweisen. Die Zahl der Freunde hielt sich dadurch in einem sehr engen Rahmen. Aber wenn er die wenigen, die er besaß, nicht auch noch verlieren wollte, sollte er langsam in die Heimat zurückkehren.
Dämonentourist. So hatten sie ihn manchmal spöttisch genannt. Und das, obwohl - oder gerade weil? - er der festen Überzeugung gewesen war, dass übersinnliche Dinge wie Magie, Hexen, Dämonen oder Vampire nicht existierten.
Heute wusste er es besser, hatte er doch schon mehr als einmal gegen sie gekämpft. Er hatte erfahren müssen, dass er ein Auserwählter war. Einer, dessen Bestimmung darin bestand, sich den Kräften der Hölle entgegenzustellen. Inzwischen war er auf der Karriereleiter des gehobenen Dämonenjägerdienstes sogar noch eine weitere Stufe nach oben geklettert. Sein Freund Rhett Saris ap Llewellyn, der derzeitige und vermutlich letzte Erbfolger und ebenfalls Bewohner dieses Schlosses, hatte ihm nämlich den Weg zur Quelle des Lebens gewiesen, wo er die Gunst der relativen Unsterblichkeit empfangen hatte.
Keine Krankheiten, kein Altern mehr. Nur durch Gewaltanwendung konnte man ihn töten.
In dieser Hinsicht war er wie Professor Zamorra.
Oder wie Dunja Bigelow, die den Reigen der Unsterblichen aus Erbfolger-Produktion vor ewigen Zeiten eröffnet hatte. Sie hatte Dylan vor ein paar Monaten kennengelernt. Obwohl sie um die zwanzigtausend Jahre alt sein musste, war die Zeit spurlos an ihr vorübergegangen.
Der Schotte fragte sich, wie viele Menschen, die von der Quelle hatten trinken dürfen, noch da draußen herumliefen. Zamorra war bisher immer davon ausgegangen, dass keiner der Unsterblichen vor ihm noch am Leben war. Erst durch Dunja war ihm klar geworden, dass er einem Irrtum unterlegen war.
Wobei man dem Professor zugestehen musste, dass seine Vermutung - auch wenn sie einen Widerspruch in sich darzustellen schien - nicht allzu weit hergeholt gewesen war. Schließlich widmeten sich die meisten Unsterblichen der Dämonenjagd, wodurch ihnen häufiger eine kürzere Lebenserwartung beschieden war als einem Normalsterblichen.
Und genau das war auch der Punkt, warum er noch immer in Château Montagne wohnte und nicht wieder zuhause in Glasgow. Zusammen mit Zamorra hatte er schon einige Abenteuer bestanden, aber eben nicht alleine. Stets hatte er sich auf die Erfahrung und die Waffen des Professors verlassen können.
Dylan hingegen besaß weder das eine noch das andere. Solange außerhalb der Schlossmauern irgendwo Matlock McCain herumlief und wütend auf ihn war, weil Anka Crentz ihn vor den Folgen von McCains Vampirbiss bewahrt hatte, war er hier einfach besser aufgehoben. In Zamorras Nähe. Oder - wenn der mal wieder unterwegs war, um gegen die EWIGEN oder Tan Morano zu kämpfen oder um Ted Ewigk beizustehen - zumindest im Schutz der M-Abwehr um das Château.
Die Stimme der Vernunft. Sie klang, wie sie zu klingen hatte: sachlich, logisch - eben vernünftig.
Blöd nur, dass die Stimme seines Herzens wesentlich lauter in ihm schrie und alle Argumente einfach niederbrüllte.
Er sollte baldmöglichst mit Professor Zamorra reden. Vielleicht besaß der eine Waffe, die er kaum noch benutzte und ihm überlassen konnte.
Irgendwann musste er lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Für einen Unsterblichen, der das
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