0948 - Der Hort der Sha'ktanar
Person?
»Ich warte nicht mehr lange«, sagte der Widerling. »Wenn du dich mir ergibst, lasse ich sie laufen.«
Er vollführte eine fahrige Bewegung mit seiner Klaue und der Nebelkokon erlosch.
Jos Knie drohten unter ihm nachzugeben. Mit allem hätte er gerechnet, aber nicht damit. Neben Njhugjr, frisch aus dem Nebel geschält, standen Renate und Andreas. Die Panik in ihren Blicken konnte Steigner selbst aus seinem Versteck erkennen.
Wut und Verzweiflung schossen in ihm hoch und ließen ihn jede Vorsicht vergessen. Er tat etwas, was er während seiner gesamten Zeit der Dämonenjagd vermieden hatte: Er handelte aus einem Impuls heraus!
Mit einem wilden Schrei auf den Lippen trat er zwischen den Bäumen hervor. »Lass sie sofort frei, du Scheusal!«
»Du bist mir zu dicht auf den Fersen, Jäger«, sagte Njhugjr. Noch immer blieb seine Stimme emotions- und modulationslos. »Das kann ich nicht zulassen.«
Steigner kanalisierte seinen Zorn in das Armband. Sofort spürte er das Kribbeln, als die Tätowierungen sich noch hektischer als ohnehin schon bewegten.
»Du denkst vielleicht, ich wäre bei unserer letzten Begegnung geflohen«, fuhr der Dämon mit seiner glatten Stimme fort. »Tatsächlich habe ich dich aber beobachtet und verfolgt. Bis zu deinem Haus. Bis zu deiner Familie.«
»Lass - sie - frei!« Jos Hand fühlte sich an wie in Lava getaucht. Er ballte die Finger zur Faust.
Njhugjr nahm diese Bewegung wahr. »Mach keinen Fehler! Ich will nur dich und dein Ungeborenes. Wenn du tust, was ich sage, lass ich deine Frau und deinen Sohn gehen.«
Mein Ungeborenes? Wovon redet der Kerl?
Die Antwort lag auf der Hand: Renate war schwanger.
Steigners ohnehin schon weiche Knie begannen zu zittern. Seine Handflächen wurden feucht.
Er musste seine Frau und sein Kind retten. Nein, seine zwei Kinder!
Aber er durfte nicht! Die Erkenntnis drückte ihm förmlich die Kehle zu. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Und die lautete, dem Dämon sein jahrhundertelanges Handwerk zu legen. Wenn er sich jetzt opferte, wie Njhugjr es von ihm verlangte, rettete er damit zwar Renate und Andreas, verurteilte aber unzählige weitere Menschen zum Tod. Außerdem, wer garantierte ihm, dass der Höllische die beiden tatsächlich laufen ließ?
Er riss den Arm hoch, schleuderte dem Unhold die Faust entgegen und entließ die Magie des Armbands.
»Nein«, sagte Njhugjr. Nicht einmal jetzt änderte sich seine Stimmlage. »Du Narr.«
Wenn er die Magie richtig dosierte, gelang es ihm vielleicht, nur den Dämon zu vernichten, ohne seine Familie zu verletzen.
Vielleicht…
Für den Bruchteil einer Sekunde schien Njhugjrs körperliche Festigkeit zu flackern. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit huschte er zur Seite und suchte hinter Renate und Andreas Deckung.
»Nein!« Im Gegensatz zu dem Dämon brüllte Joachim Steigner das Wort. Er versuchte die magische Eruption zurückzuhalten, doch es gelang ihm nicht. Sie traf Njhugjr - und Jos Familie!
Doch sie zeigte nicht die übliche Wirkung. Offenbar hatte der Dämonenjäger im letzten Augenblick die Stärke verändert.
Ein dumpfer Knall hallte durch den Wald. Und plötzlich war die Lichtung leer. Njhugjr war verschwunden. Und mit ihm Renate und Andreas.
***
Zwanzig Jahre waren seitdem vergangen. Und noch immer stahl sich ein Frosch - ach was! Ein Ochse! - in seine Kehle, wenn er daran dachte.
Wenigstens hatte die Serie von Babydiebstählen aus dem Mutterleib danach aufgehört. Njhugjr hatte seinen Plan nie vollenden können. Auch war im Umkreis um das Maisfeld nicht plötzlich jedes Leben erloschen. Ein großer Erfolg, auf gewisse Weise trotzdem nur ein schwacher Trost für den Verlust der ganzen Familie.
Immer wieder hatte Jo sich gefragt, ob Renate ihm eine Tochter oder einen Sohn geschenkt hätte. Zwanzig Jahre wäre sein Kind nun alt. Wie sähe es jetzt aus? Wie hätte es sich entwickelt?
Der Dämonenjäger atmete tief durch. Es war müßig, sich Fragen zu stellen, auf die er keine Antworten erhalten würde.
Auch wenn er nicht glaubte, dass er Njhugjr, Renate und Andreas getötet hatte - schließlich hatte er auf der Lichtung keinerlei Rückstände gefunden -, fehlte seit zwanzig Jahren jede Spur von ihnen.
Seitdem hatte sich sein Leben grundlegend geändert. Er hatte seinen Job verloren, seine Freunde, seine Unbekümmertheit. Wegen der Nachbarn und des Geredes hatte er eine Vermisstenanzeige aufgegeben, die - natürlich! - im Sande verlaufen war. Seinen Unterhalt bestritt er
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