0951 - Untergang
unheimlich. Irgendwie macht er auf mich den Eindruck eines Krebsgeschwürs im Fleisch der anderen. Komischer Gedanke, aber könnte das Luzifer unter den reinen Engeln sein?«
Maneki Neko lachte glockenhell. Ihre Schnurrbarthaare zitterten. »Luzifer? Nein. Diese Assoziation hast du, weil dir beim Anblick unserer Schöpfer Engel in den Sinn gekommen sind. Luzifer existiert nicht, der Herr alles Bösen ist nichts weiter als eine legendäre Sagengestalt.«
»Bist du sicher?«
»Ja, ganz sicher. Niemand hat den gefallenen Engel, wie ihr Menschen Luzifer nennt, je gesehen.«
»Wenn du das sagst.« Nicole Duval wollte lächeln, aber es missglückte ganz und gar. »Es gibt aber garantiert einen Zusammenhang mit den Sonnen am Hohen Himmel. Sechs helle und eine schwarze, das ist die gleiche Konstellation wie hier, das kann kein Zufall sein. Sagen eure Legenden auch etwas darüber?«
»Ein paar mythisch verbrämte Geschichten, nichts weiter.«
Die Dämonenjägerin schüttelte den Kopf. »Weißt du, dass mir das gerade echt abgefahren vorkommt, Schwesterchen? Ihr Götter seid in unseren Sagen und Legenden die höchste Institution, die Überwesen, die alles geschaffen haben. Aber wenn ich das alles so höre, dann muss ich mal wieder erkennen, dass die Kluft zwischen euch und uns Menschen gar nicht so groß ist. Klar, ihr seid Magische mit großer Macht. Aber ihr seht doch irgendwie aus wie wir, ihr benehmt euch sogar wie wir. Wenn ich bloß an Amaterasu und Susanoo denke, dann… Na ja, lassen wir das. Aber ich würde behaupten, dass die menschlicher sind als jeder Mensch. Entschuldige, wenn ich dir damit zu nahe treten sollte, aber die sind doch total bescheuert. Sind die anderen auch so?«
Maneki Neko dachte einen Moment nach. »Ja, sie alle sind auch so. Es hängt damit zusammen, dass sie die Ebene des Hohen Himmels schon lange nicht mehr verlassen. Sie haben nur sich selbst und ihre Langeweile, denn sie sind relativ unsterblich, genau wie du, Schwester. Die Langeweile aber gebiert die seltsamsten Dinge und Verhaltensweisen. Ja, sie mögen aus deiner Sicht komisch wirken, aber sie sind auch skrupellos und damit höchst gefährlich. Meine Tante Amaterasu hätte nicht gezögert, dich zu töten.«
Wieder wanderten Nicoles Blicke über die Statuen. »Dabei muss sie nicht eifersüchtig sein. Ich weigere mich ganz einfach, oberste Göttin hier zu werden, egal, was das Multiversum und das Schicksal und wer weiß wer noch alles mit mir vorhaben mögen. Weißt du was, Schwester? Ich hab's satt, Spielball von irgendwelchen kosmischen Mächten zu sein. Also vergessen wir das Ganze schnell wieder, egal, was auch immer du mit mir vorhaben magst.«
»Ach wirklich?«
»Ja, wirklich. Aus, Amen, Basta, Finito.« Nicole funkelte die weiße Katze an.
»Ich sagte dir bereits, dass du keinerlei Entscheidungsmöglichkeit hast, Schwester. Du tust, wozu dich das Schicksal auserkoren hat. Wir alle dienen einem höheren Zweck, nicht nur du. Aber du bist eine Auserwählte, das macht den Unterschied.«
Nicole wollte sich erneut auflehnen, spürte aber mit wachsender Verzweiflung, wie ihr Widerstand schmolz. Gegen Manekis Gedankenimpulse kam sie nicht an, trotz ihrer Mentalsperre, die seit Merlins Tod allerdings auch nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein schien. »Was hat das Schicksal also genau mit mir vor?«, fragte sie schließlich ergeben.
»Ich freue mich, dass du den Sinn deines Daseins endlich begriffen hast und dein Schicksal freudig annimmst«, entgegnete die Maneki Nekoaalglatt. Ein unerbittlicher, fast dämonischer Zug hatte sich in ihre Augen geschlichen. »Ich bin ein sehr viel mächtigeres Wesen als du, Nicole Duval. Trotzdem hat mich das Schicksal dazu ausersehen, lediglich dein Steigbügelhalter zu sein, Schwester. Denn nur mit dir haben die Mächte der Schöpfung Großes vor. Ich habe dich hierher geholt, um dir Schwert, Juwel und Spiegel zu überreichen. Denn diese drei Insignien der Macht werden sich mit dir verbinden und deinen Körper und deinen Geist stark, nahezu unbesiegbar machen.«
»Aber warum?«
»Du wirst diese Stärke brauchen, denn anders kannst du deiner Aufgabe nicht gerecht werden, Schwester. Sie ist gewaltig. Ein mächtiger Geist wird dich schon bald erfüllen, um in dir eine zu Ende gehende Epoche in eine neue überzuführen.«
»Ich erwarte diesen Geist mit Freude und Ungeduld.«
»Natürlich.« Maneki Nekos Augen leuchteten nun in einem intensiven Grün. »Lange wirst du nicht mehr warten
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