0954 - Die Stunde des Pfählers
Holzreserve für das Feuer.«
Marek schüttelte den Kopf. Dieser Mensch war einfach nicht zu belehren. Er glaubte an das, was er sah. Er wollte Macht, er wollte Geld, er wollte ein Fürst werden, aber er befand sich auf dem falschen Weg. Nur konnte ihm das nicht klargemacht werden.
In den folgenden Sekunden beschäftigte sich Varac mit anderen Dingen. Er befahl einem seiner Männer, den beiden Wachtposten ebenfalls Tee zu bringen. »Sonst frieren sie noch fest.«
Der Angesprochene nickte. Er füllte Zwei Becher und verschwand mit ihnen aus dem Bereich der Ruine.
Anton Varac hatte sich wieder gedreht. »Nun zu dir, alter Mann. Ich habe dir in meiner großen Güte noch eine Chance gegeben. Du aber hast sie nicht genutzt. Im Gegenteil, du hast mir irgendwelchen Schwachsinn erzählt, kommst uns mit alten Märchen, als wären wir kleine Kinder. Aber ich beweise dir das Gegenteil. Alles, was nicht für uns ist, bezeichnen wir als Ballast. Du bist Ballast, alter Mann. Du hast dein Leben hinter dir, du bist schon so gut wie tot. Vielleicht willst du noch beten, die Chance bekommst du, dann aber ist es aus.« Um zu demonstrieren, was er meinte, zog Varac die rechte seiner beiden Pistolen. Er zielte auf Mareks Stirn, der am Boden saß, sich nicht rührte, von vorn die Wärme spürte und in seinem Rücken die Kälte.
»Warum betest du denn nicht, Alter? Das gehört doch zu deiner Generation, wie ich weiß.«
»Du machst einen großen Fehler, Varac.«
»Aha - und welchen?«
»Gut, du kannst mich töten, das bleibt dir überlassen, aber du solltest so schnell wie möglich mit deinen Leuten von hier verschwinden. Es ist dunkel geworden, und das ist seine Zeit. Er wird die Schatten der Nacht ausnutzen, um Beute zu bekommen. Mehr kann ich nicht sagen. Schau dir deine Männer an, sie denken anders über meine Worte als du. Das kann man ihnen an den Gesichtern ablesen.«
»Was hast du denn jetzt vor, Alter?«
»Die Wahrheit sagen.«
»Die halte ich in der Hand. Eine russische Armeepistole, in der sich sechs Kugeln befinden. Sechsmal kann ich dir das Gehirn durchpusten, und das werde ich auch tun.« Er zog den Schlitten zurück.
Das dabei entstehende helle Geräusch war in der Stille gut zu hören, aber auch das leise Schreien und Jammern des Banditen, den Varac mit den beiden Teebechern zu den Wachtposten geschickt hatte.
»Verdammt noch mal, verflucht noch mal, wir sind…« Der Mann stolperte durch eine Lücke in der Wand und lief auf das Feuer zu, in das er beinahe noch hineingefallen wäre.
Alle starrten ihn an, Varac eingeschlossen. Sie schauten ihren Kumpan an, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand und es bleich gemacht hatte. Die Augen waren groß, der Mund stand offen, und Speichel rann am Kinn entlang.
»Mach endlich dein Maul auf!« fuhr Varac ihn an.
Der Bandit nickte. »Ja, ja, ja, ja - ich war da. Ich war da. Aber die beiden lebten nicht mehr. Sie sind tot. Sie liegen im Schnee. Ihre Hälse sind zerfetzt, alle zerfetzt - alle…« Er schlug die Hände vor sein Gesicht und schluchzte.
***
Keiner traute sich noch, ein Wort zu sagen. Selbst Varac war stumm geworden. Und er hatte vergessen, daß er Marek erschießen wollte, denn die Mündung der Waffe wies nun in eine andere Richtung. Schließlich ging ein Ruck durch seinen Körper, und er fragte: »Was hast du gesagt? Was hast du da gesagt?«
Der Bandit hatte sich nicht erholt. Er stand da, trat von einem Fuß auf den anderen und holte immer wieder keuchend Luft. Erst als Varac ihn schlug, rutschten die Hände von seinem Gesicht weg, und der Mund lag endgültig frei. »Sie sind tot! Sie sind beide tot! Sie sind schrecklich gestorben. Man hat sie zerrissen…«
Anton Varac wirkte wie ein Mann, der nicht hingehört hatte, denn er starrte einzig und allein Frantisek Marek an, als wollte er ihm die Schuld am Tod der Männer geben.
Da er nichts sagte, sprach Marek. »Es ist die Bestie gewesen. Ja, es war die Bestie. Sie ist nicht zu stoppen. Sie wird uns alle holen, das hat sie mir angedroht.«
Varac überlegte. »Versprochen?« keuchte er dann. »Du hast mit ihr gesprochen?«
»In der Tat.«
»Wie kann eine Bestie sprechen?« brüllte er. »Wie ist das möglich?«
»Es ist keine normale Bestie«, erklärte Marek. »In diesem Körper steckt mehr. Das mußt du einsehen, auch wenn du über die alten Legenden lachst und deine Späße mit ihnen treibst. Aber sie sind vorhanden. Es gibt sie, und sie leben weiter. Darauf kannst du dich verlassen.
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