0954 - Die Stunde des Pfählers
der Bestie wie eine unsichtbare Drohung über uns. Die Welt war erstarrt. Es gab kein Leben. Die eisige Kälte hatte alles eingefroren.
Wir erreichten die Mauern und duckten uns in ihrem Schutz. Suko und mir fiel ein Stein vom Herzen, daß wir bisher noch nicht entdeckt worden waren. Wir rochen den Rauch. Über uns malten die Flammen Muster in die Dunkelheit hinein, die sich in der Dunkelheit verliefen. Schattentänzer. Ein Hinweis für die Bestie.
»Wo steckt sie?« murmelte Suko, der sich mit dem gleichen Gedanken beschäftigt hatte.
»Die kennt sich aus. Sie wird genau wissen, wann es für sie am besten ist, um einzugreifen.«
»Das befürchte ich auch.«
Eine rauhe Stimme ließ uns verstummen. Wir hatten sie schon öfter gehört. Wahrscheinlich sprach der Anführer. Dann hörten wir den Schnee knirschen. Nicht mal weit von uns verließ ein Mann den Schutz der Mauern und ging auf den Zug zu. Wir konnten nicht mehr sehen, wo er stehenblieb, aber wir hörten ihn. Ein heulender Laut drang aus seinem Mund und wenig später rannte er wie von Furien gehetzt zurück. Wie jemand, der etwas gesehen hatte.
Wir schauten uns an. Keiner kam damit zurecht. Beide hoben wir die Schultern, aber hinter den Mauern gab es wohl Arger, denn plötzlich waren die Stimmen wieder laut geworden. Auch Marek redete, aber er behielt die Nerven.
»Es läuft an uns vorbei«, sagte Suko. »Und das gefällt mir nicht.«
»Wir warten trotzdem.«
»Auf einem Wagendach wäre es besser. Zumindest vom Überblick her.«
Da mochte er recht haben, ich wollte den Weg nicht mehr zurückgehen, was ich ihm auch sagte.
»Außerdem glaube ich nicht, daß Marek und die Banditen Freunde sind. Sie werden so etwas wie einen Burgfrieden oder Waffenstillstand geschlossen haben, das ist alles.«
Hier bleiben konnten wir nicht. Es würde sich nichts in Wohlgefallen auflösen, das stand fest. Eine Bestie wie der Vampirwolf gab nicht auf. Sie würde in die Gruppe der Menschen hineinschlagen wie eine Bombe.
Suko verfolgte die gleichen Gedanken wie ich. »Trennen wir uns?« fragte er.
»Ja, wir nehmen Marek und die anderen in die Zange. Ich werde mich ihnen zeigen.«
»Dann decke ich dir den Rücken«, versprach mein Freund.
»Mal eine andere Frage: Hast du ungefähr herausgefunden, mit wie vielen Gegnern wir es zu tun haben?«
»Nein, aber mehr als drei sind es bestimmt. Sei auf der Hut, John, die schießen schnell!«
Das wußten wir. Das Lokpersonal war dafür das beste und grausame Beispiel. Dabei hatte ich immer gedacht, daß es Zugräuber nur im Wilden Westen gab. Aber dem war nicht so. Es gab sie auch in der heutigen Zeit, wobei sie mir noch immer normaler vorkamen als ein aus alter Zeit stammender Vampirwolf.
Suko drehte sich um. Er wollte verschwinden, aber plötzlich duckte er sich. Ich hatte seine Bewegung mitbekommen, wollte schon eine Frage stellen, als ich es mit eigenen Augen sah.
Über die weiße Fläche huschte ein Schatten. Langgestreckt, auf allen vieren. Es war nur schwer vorstellbar, daß diese Bestie ein menschliches Gesicht hatte. Wir sahen es nicht genau, sondern nur mehr einen helleren Fleck.
Nur sehr kurz war die Bestie zwischen Zug und Ruine erschienen, dann wieder verschwunden, und bevor wir noch starten konnten, hörten wir die Schreie und auch die Schüsse.
Der Horror begann!
***
Anton Varac hatte seine Probleme, mit gewissen Dingen fertig zu werden. Immer wieder schaute er in Mareks Gesicht, er setzte auch des öfteren zum Sprechen an, wobei er nicht die richtigen Worte fand, bis er schließlich hervorstieß: »Du kennst ihn, nicht wahr? Du kennst ihn genau.«
»Nein, ich kenne ihn nicht.«
»Aber du weißt über ihn Bescheid!« fuhr Varac ihn an.
»Das stimmt.«
»Woher?«
»Ich habe über ihn gelesen!«
Varac wollte sich amüsieren. »Gelesen! Gelesen!« Er wollte sich amüsieren. »Wo kann man über eine Bestie lesen? In einem Dracula-Roman?«
»Nein, in einer alten Schrift.«
»Wieso?«
»Ich habe sie gefunden. Ja, ich habe sie gefunden, und du solltest mir das glauben. Ich habe dir schon einmal erklärt, was meine Aufgabe ist. Ich laufe nicht grundlos mit diesem Eichenpflock herum. Ich jage sie, Ja, ich jage die Bestien, auch wenn du es nicht begreifen kannst. Aber dieses Land hat seine finstere Tradition und Vergangenheit, das kannst du auch nicht abstreiten.«
Varac stritt es nicht ab. Er konnte es nur nicht glauben und erhoffte sich von seinen Leuten Unterstützung. Mit einer scharfen Drehung fuhr er
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