0954 - Die Stunde des Pfählers
Nicht alles ist tot, was auch tot erscheint. Denk daran, Varac. Halte es dir immer vor Augen. Nur so kannst du mit dem Unheimlichen und dem Unerklärlichen umgehen. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
Der Banditenführer hatte zugehört, auch wenn er nicht den Eindruck machte. »Ich weiß es, verdammt! Ich weiß es jetzt. Aber ich will auch wissen, wie wir diesen Vampirwolf fangen können. Wir müssen ihn stellen und vernichten.«
»Stimmt!«
Varac beugte sich Marek entgegen. »Und wie? Wie sollen wir das tun?«
»Nicht mit euren Kugeln. Wir müssen schlauer sein als sie. Viel schlauer.«
»Dann hast du einen Plan?«
Marek lächelte hinterlistig. »Wie sollte ich den haben können? Nein, ich habe keinen Plan, aber ich weiß, daß wir ihr nicht in die offenen Arme laufen dürfen. Wir wissen jetzt Bescheid. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder wir warten hier auf sie. Oder wir steigen in den Zug und fahren davon.«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?« Marek stand auf. Er ahnte es, aber er wollte es von dem Anführer selbst erfahren.
»Die beiden Lokführer sind tot. Sie wollten sich wehren, deshalb mußten wir sie erschießen.«
Also doch, dachte Marek. Das waren die Salven gewesen, die er gehört hatte.
»Ja!« schrie Varac. »Es ist nicht mehr Zu ändern. Wer konnte denn wissen, daß hier eine blutgierige Mutation herumtobt? Wer denn? Du vielleicht?« fuhr er Marek an.
Der schüttelte nur den Kopf. »Es ist Wie ein Zeichen gewesen, Varac. Man sollte Menschen nicht töten, egal, was sie auch getan haben. Die beiden Männer taten nur ihre Pflicht, mehr nicht. Und deshalb mußten sie sterben.«
»Ja, das mußten sie. Und dich hätte ich auch schon längst umbringen können.«
Der Pfähler befand sich wieder in einer sicheren Position. »Willst du es nicht jetzt noch tun?«
Für einen Moment glaubte er, sich überschätzt zu haben, denn Varac zielte mit der Waffe auf ihn.
Dann aber schüttelte er den Kopf. »Nein, ich werde ich am Leben lassen. Vielleicht erlebe ich noch, wie die Bestie dich zerreißt. Ich wünsche es mir, denn mit deinem Auftauchen hat das Unglück begonnen.«
»Ich sehe es anders. Aber ich sagte dir schon einmal, daß sich der Vampirwolf mich bis zum Schluß aufgehoben hat.«
»Bist du etwas Besonderes?«
Marek lächelte. »Das ist gut möglich.«
»Warum?«
»Ich besitze den Pfahl.«
»Na und?«
»Er hat mir schon oft geholfen«, erklärte Marek.
Der Bandit starrte ihn an. Dann schloß er die Hand zur Faust und beschrieb damit einen Kreis vor seiner Stirn. »Jetzt spinnst du völlig, wie?«
»Nein. Ich habe auch keine Lust, dir alles zu erklären, aber laß dir gesagt sein, daß ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, die Blutsauger zu jagen.«
»Aha.« Varac wollte von seinen Männern wissen, was sie dazu meinten. Sie aber schwiegen. Ihre Kehlen waren zu.
Die Vorgänge hatten sie geängstigt, die Furcht steckte in ihnen, und sie wagten auch nicht, einen Kommentar abzugeben.
Anton Varac trat wütend in das Feuer und ließ die Funken spritzen. Danach kümmerte er sich wieder um Marek. »Und jetzt?« fauchte er ihn an. »Was tun wir jetzt, du Könner?«
»Nicht viel, wir warten.«
»Wie schön. Auf die Bestie?«
»Ja, auf sie!«
***
Die Stimmen aus dem alten Bau hatten uns den Weg gewiesen. In der Stille des dunklen Abends und in der Klarheit der Luft wurden sie weit genug getragen, so daß wir uns auch bei unserem Umweg an ihnen orientieren konnten.
Auch die Stimme unseres Freundes Marek hatten wir gehört. Sie war zu ertragen gewesen, das heißt, wir hatten nicht festgestellt, daß der Pfähler unter einem Druck steckte.
Leider konnten wir uns nicht lautlos bewegen. Der Schnee knirschte unter unseren Schuhen, und ich fürchtete schon, daß wir zu laut waren.
Klar und deutlich stand der Mond über uns. Er ließ die Schneefläche schimmern wie ein poliertes Leichentuch.
Der Zug stand auf dem Gleis wie ein Ungeheuer. Er war groß, hoch, eine mächtige Schlange aus Metall. Nichts rührte sich bei den Wagen. Auch aus ihnen drang kein Geräusch, und den verdammten Vampirwolf hatten wir auch nicht gesehen.
Mein Blick suchte so gut wie möglich die Dächer der Waggons ab. Auf einem hatten wir die Bestie gesehen. Ob sie sich noch weiterhin dort aufhielt, konnten wir nicht erkennen, die Wagen waren einfach zu groß und auch im Gegensatz zu den Ausmaßen der Lok kamen wir uns regelrecht klein vor.
Eines jedoch war Suko und mir schon aufgefallen. Wir sahen die beiden Wachtposten
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