096 - Die Gräfin von Ascot
fragte John boshaft.
»Das ist auch kein Geheimnis«, entgegnete Peas ruhig. »Das ist einfach ein Einbruch unter Anwendung von Gewalt.«
22
Die Tage, die auf die Unterredung mit Julian folgten, waren für Marie Fioli sehr glücklich. Das Leben erschien ihr schöner als jemals; die Schule in Cheltenham lag jetzt viele tausend Meilen für sie entfernt. Marie lebte in einem ganz neuen Kreis, mit anderen Menschen. Als sie einmal mit John zusammen war, versuchte er, die Unterhaltung auf Mrs. Carawood zu bringen.
»O ja, sie ist tatsächlich romantisch, aber ich kann es nicht übers Herz bringen, darüber zu lachen. Wissen Sie, John, ich glaube oft, daß Nanny ein großes Vergnügen darin findet, wenn sie Mylady zu mir sagen kann. Und sie ist so praktisch und geschäftstüchtig auf ihre Weise.« Mrs. Carawood war wirklich eine eigenartige Persönlichkeit. Er hatte noch nie eine solche Frau kennengelernt. Eigentlich führte sie ein Doppelleben. Marie und alles, was zu dem jungen Mädchen gehörte, repräsentierte die eine, die schöne und romantische Seite. Die andere war ihr Geschäft.
»Sie hat mir neulich erzählt, daß sie von Kindheit an diese romantischen Geschichten von Herzoginnen und Prinzen schätzte. Sie liebte Erzählungen, die in großen Marmorpalästen und in fürstlichen Residenzen spielten. Niemals las sie ein Buch, in dem nicht mindestens ein Lord oder eine Baronin vorkam.«
Als sie eines Nachmittags Queens Hall besuchten, erzählte ihm Marie von einem seltsamen Besucher, der am Vormittag in den Laden gekommen war.
»Kennen Sie einen Pater Benito?« fragte sie. »Er sieht wunderbar aus, hat einen langwallenden, grauen Bart und trägt eine richtige Mönchskutte.« »Ja, ich kenne ihn«, sagte John schnell. »Was wollte er denn?« »Er wollte Mrs. Carawood sprechen und sagte, daß er ein Kleid für seine Nichte kaufen müsse. Aber ich glaube, das war nur ein Vorwand; sicher kam er aus einem anderen Grund in den Laden.« »Haben Sie mit ihm gesprochen?« fragte John ängstlich. Sie nickte.
»Ja, Mrs. Carawood holte mich aus der Wohnung, damit ich ihn begrüßen sollte. Er sagte, er habe von mir gehört. Es ist direkt rührend, wieviel er für die Armen in unserem Stadtteil tut.« »Was hat er denn sonst noch gesagt?«
»Nichts Wichtiges. Die gute, arme Nanny schien ganz nervös und aufgeregt zu sein, weil uns der Pater besuchte. Als er wegging, atmete sie jedenfalls erleichtert auf.«
John konnte sich wohl denken, aus welchem Grund Pater Benito in den Laden gekommen war. Auch er fühlte sich beruhigt, als er hörte, daß der Besuch so verlaufen war.
Daß John beobachtet wurde, konnte er natürlich nicht ahnen.
In diesen Tagen kam der Privatdetektiv Martin zu Julian, wurde aber ziemlich kühl empfangen.
»Haben Sie auch Morlay engagiert, daß er Ihnen Informationen über Mrs. Carawood beschaffen soll?« war die erste Frage, die er Julian stellte. »Wenn Sie es nicht getan haben, dann möchte ich Ihnen nur sagen, daß er auf eigene Faust Erkundigungen einzieht.« »Wie meinen Sie das?«
Martin war am Morgen in der großen Registratur von Somerset House gewesen und hatte einen der tüchtigsten Leute von Morlay dort getroffen.
»Es ist der beste Mitarbeiter Morlays; soviel ich feststellen konnte, hat er sich auch nach dem Testament der verstorbenen Gräfin Fioli erkundigt.« »Aber in ganz Somerset House findet sich keine Abschrift und auch kein Hinweis auf dieses Dokument.«
»Ich weiß es. Das wird der Mann auch festgestellt haben.« John Morlay interessierte sich also auch für das Vermögen Maries! Vielleicht brauchte auch er Geld. Julian lächelte im stillen.
Mrs. Carawood senkte ihr Buch. Nur das Ticken der Uhr auf dem Kamin war zu hören.
»Ich habe mich schon oft gefragt, wie Ihr Mann wohl gewesen sein mag«, sagte Herman unvermittelt. »Mein Mann?«
»War er auch so romantisch wie Sie?«
»Nein«, erwiderte sie langsam. »Aber ich glaube, ich bin durch ihn romantisch geworden.«
Sie dachte noch über diese Worte nach, und Herman wagte nicht, sie dabei zu stören.
»Das Leben ist nicht leicht, Herman«, sagte sie nach einiger Zeit. »Für mich war es auch sehr schwer, bis ich zu Ihnen kam. Aber ich glaube, daß Sie sich sehr einsam gefühlt haben, als Ihr Mann starb.« Sie lächelte.
»Ja, ich habe ihn vermißt. Es entsteht auf die eine oder andere Weise doch eine Lücke, wenn jemand stirbt, Herman«, führ sie fort, aber dann änderte sie das Thema. »Sie sehen heute abend müde
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