096 - Die Gräfin von Ascot
aus, Sie müssen früh zu Bett gehen.«
Er schaute sie an wie ein treuer Hund, dann dachte er darüber nach, wie schön es war, daß sich jemand um ihn kümmerte und bemerkte, daß er müde war. Es war seltsam wohltuend, daß Mrs. Carawood auch an ihn dachte.
»Manchmal sind Sie wirklich merkwürdig«, meinte er. »Wieso bin ich merkwürdig?«
»Sie sind so lieb und gut. Wissen Sie, ich würde alles für Sie tun.« Es fiel ihm schwer, das zu sagen; es zu denken, war viel leichter. »Wenn Sie es wollen, springe ich vom Dach herunter; ich würde jemanden ermorden für Sie.«
»Aber Herman!« Ihre Stimme klang scharf. »Man sollte fast denken, Sie wären betrunken, wenn Sie solchen Unsinn reden! Was fällt Ihnen denn ein, daß Sie jemanden ermorden wollen? Sie haben doch andere, friedlichere Beschäftigungen. Sie sollen meine Regale abstauben und aufpassen, daß Sie kein Geschirr zerbrechen, wenn Sie abspülen. Sie haben es gar nicht nötig, jemanden umzubringen. Aber passen Sie auf, es ist jemand vorn an der Ladentür.«
Es war Mr. Fenner, der feierlich eintrat. Er trug seinen schwarzen Sonntagsanzug und einen Trauerflor um den Ärmel.
Die große goldene Uhrkette war sein einziges Schmuckstück. Er setzte sich hin, ohne dazu aufgefordert worden zu sein; alle seine Bewegungen waren würdevoll und gemessen.
»Ich hatte Sie heute abend kaum erwartet, Fenner. Sind Sie schon so bald von der Beerdigung zurückgekommen?«
»Sie wollen wohl ein wenig aufgeheitert werden?« bemerkte Herman. Mrs. Carawood runzelte die Stirn. »Herman, seien Sie still.«
Mr. Fenner schaute eine Zeitlang nachdenklich vor sich hin, bevor er den beiden eine erstaunliche Tatsache mitteilte. »Der alte Mann hat mir sein Geschäft vermacht.« »Mr. Fenner, ist das wahr?«
Sie konnte sich sehr gut an den etwas rauhen, aber sehr gutherzigen alten Mann erinnern, und sie konnte sich auch das ironische Lächeln vorstellen, mit dem er das Testament unterschrieben haben mochte. »Ja, er hat es mir hinterlassen. Es ist ein nettes, kleines Geschäft, Mrs. Carawood, und man könnte den Umsatz verdoppeln und verdreifachen, wenn nur jemand etwas Kapital hineinstecken wollte.« Sie mußte lächeln.
»Was haben Sie denn?« fragte er erstaunt.
»Ich freue mich für Sie! Was werden Sie unternehmen? Der alte Mann hat ja sehr viel gearbeitet.«
»Das habe ich mir bis jetzt noch nicht überlegt. Wenn man ein eigenes Geschäft hat, bekommt alles ein anderes Aussehen. Herman, ich möchte einmal allein mit Mrs. Carawood sprechen.« Er sagte das mit soviel Wichtigkeit, daß Herman gehorsam hinausging. Fenner richtete sich auf.
»Ist dieser fein angezogene Kerl schon wieder hier gewesen?« fragte er vertraulich.
»Nein, Marie hat Mr. Lester in seiner Wohnung besucht.«
»Wenn er noch einmal herkommt«, erklärte Fenner wütend, »drehe ich ihm das Genick um!«
Sie sah ihn nachdenklich an, nahm einen Strumpf von Herman und begann, ein Loch darin zu stopfen.
»Ich brauche niemanden, der mich verteidigt, Mr. Fenner. Aber wir werden Sie jetzt wohl nicht mehr so oft sehen, nachdem Sie so viel Geld geerbt haben?«
Das erleichterte ihm den Anfang seiner Rede.
»Deshalb bin ich gerade hergekommen. Ich wollte einmal mit Ihnen sprechen, Mrs. Carawood. Gestatten Sie, daß ich eine Zigarette rauche?« Er zog eine Packung aus der Tasche.
»Das sind echte türkische, die werden von den Damen im Harem des Sultans geraucht, steht vorne drauf. Ich kann diese Türken nicht verstehen. Ich brauche nur eine Frau, wenn ich die rechte bekomme.« »Das können Sie nie vorher wissen«, warnte sie ihn lächelnd. »Für Sie sieht jetzt alles anders aus, wie Sie eben erwähnten. Früher haben Sie auch nie Zigaretten geraucht. Ich habe es immer so nett gefunden, wenn Sie mir mit Ihrer Pfeife gegenübersaßen. Eines Tages werde ich mich nicht weiter wundern, wenn Sie geheiratet haben. Und dann werden Sie wieder eine andere Frau haben wollen und dann noch eine - nicht wahr?«
Er legte die Zigarette sorgfältig auf den Rand des Aschenbechers und sah sie vorwurfsvoll an.
»Für mich gibt es nur eine Frau auf der Welt, Mrs. Carawood, und wenn sie meinen Antrag annehmen würde, wäre ich der glücklichste Mann auf der Welt.«
»Aber Mr. Fenner, Sie wollen auch immer gleich alles haben. Es ist doch genug, daß Sie nun das nette Geschäft besitzen. Warum wollen Sie noch mehr?«
»Sie wissen ganz genau, was ich will, und ich würde alles darum geben. Sehen Sie einmal her: Was würden Sie
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