096 - Kreuzfahrt des Grauens
an dir, Sue.“
„Mach dich nicht lächerlich, Onkel. Wir haben uns alle paar Jahre einmal gesehen. Zudem bin ich volljährig. Es besteht kein Grund, sich so aufzuregen.“
An den Nebentischen war man auf die Szene aufmerksam geworden und sah herüber. Martin sagte: „Ich glaube, Sie gehen da zu weit, Mr. Diaz. Sie mischen sich in Dinge ein, die Sie nicht betreffen. Warum kümmern Sie sich nicht um Ihre Angelegenheiten und überlassen die unseren Sue und mir?“
Martins Ton war keineswegs provozierend, aber Diaz regte sich noch mehr auf. Er sah Sue an, als sei sie ein ekliges Reptil, und spuckte auf den Boden.
„Chinesenbrut!“ stieß er hervor, drehte sich auf dem Absatz um und ging davon.
Martin erhob sich und wollte ihm nachgehen. Aber Sue legte ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück. An den Nebentischen wurde gemurmelt. Martin war zwar keine sensible Natur, und die Ansichten sowie das Gerede seiner Mitmenschen kümmerten ihn wenig, aber er ärgerte sich sehr über das Verhalten von Diaz.
„Laß ihn, Martin“, sagte Sue. „Mein Onkel hat ein cholerisches Gemüt. Er wird sich wieder beruhigen. Vielleicht hat er heute nacht irgend etwas gebraucht, und ich war nicht da. Oder er hat sich Sorgen um mich gemacht.“
„Der und Sorgen? Der sorgt sich höchstens darum, ob das Messer in seiner Tasche scharf genug ist. Ein unverschämter, arroganter, verbohrter Hohlkopf mit Ansichten aus dem vorigen Jahrhundert ist er.“
„Komm, setz dich hin.“
Martin setzte sich. Er war wütend.
„Was ist das bloß für ein Mensch?“ sagte er. „Dich so zu beschimpfen. Der spinnt wohl!“
„Manieren wie eine offene Hose“, entrüstete sich Harriet. „Wenn das ein Verwandter oder Bekannter von mir wäre, hätte er ein paar Ohrfeigen weg. Das mag nicht die feine englische Art sein, aber manche Menschen kapieren eben nicht anders, und auf einen groben Klotz gehört ein noch gröberer Keil.“
„Der Mann hat sich sehr unhöflich verhalten“, sagte Yanakawa.
Für den immer auf Etikette bedachten Japaner war das ein sehr scharfer Tadel. Joel Batterman, der lange Texaner, saß zwei Tische weiter und feixte.
„Ja, ja, das hat man nun davon, wenn man sich in fremden Betten herumtreibt“, sagte er so laut, daß es deutlich zu hören war.
„Sie haben es nötig, Batterman“, sagte Yanakawa, der bei aller Höflichkeit sehr scharfzüngig und bösartig sein konnte. „Sie haben’s doch gerade noch geschafft, zwischen Nacht und Morgengrauen aus dem Freudenhaus in Manila an Bord zu kommen.“
Batterman zog es vor, sich sehr intensiv mit seinem Steak zu beschäftigen. Er traktierte es mit dem Messer, als wäre es Yanakawa, dem er die Gurgel durchschneiden wollte. Rundum wurde getuschelt. Die Passagiere hatten ihren Skandal. Er lenkte ein wenig von den makabren Ereignissen der jüngsten Vergangenheit ab.
„Wie kommt Diaz dazu, sich so aufzuführen?“ fragte Martin nun nochmals Sue.
„Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, er hat mich noch nie gemocht, weil ich chinesisches Blut in den Adern habe. Ich möchte wissen, weshalb er mich eigentlich auf die Kreuzfahrt mitgenommen hat.“
„Vielleicht aus einer Laune heraus“, sagte Harriet.
„Das glaube ich nicht“, meinte Sue. „Onkel Eduardo muß damit irgendein Ziel verfolgen. Es scheint fast, als brauche er mich für irgend etwas, oder als wolle er etwas von mir haben, denn er tut nie etwas umsonst oder ohne Gegenleistung. Wenn ich nur wüßte, was es ist, für das er mich braucht, oder was er von mir haben will.“
„Hüte dich vor diesem Mann“, sagte Martin. „Er gefällt mir ganz und gar nicht. Das sage ich nicht wegen der Szene eben. Diaz führt etwas im Schilde. Und ich glaube nicht, daß es etwas Gutes ist.“
„Alter Schwarzseher!“ sagte Harriet. „Fängst du schon wieder mit deinen Gespenstern an? Man sollte meinen, du und Sue, ihr hättet andere Dinge im Kopf als Spuk und Grauen. Nehmt euch ein Beispiel an Yanakawa und mir.“
„Mein Mund lächelt“, sagte Yanakawa, „aber mein Herz ist von tiefer Sorge erfüllt.“
Harriet ließ sich in den Stuhl zurück sinken.
„Ich geb’s auf“, sagte sie. „Ihr unkt wie ein ganzes Altersheim mit Bostoner Jungfern.“
Nach dem Mittagessen suchten die beiden Paare die Kabinen auf. Martins sportliches Training mit Yanakawa fiel an diesem Tag wie auch am Vortag aus. Martin hatte Besseres zu tun, als sich mit Yanakawa beim Karate abzuplagen.
Der Rausch der Leidenschaft nahm ihn und
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