096 - Kreuzfahrt des Grauens
anzuziehen. Er fühlte sich mächtig stark und fähig, die ganze Welt aus den Angeln zu heben. Gleich morgen wollte er beginnen, sein Leben von Grund auf zu ändern, das einen unaufhaltsamen Abwärtskurs steuerte, seit seine Frau vor Jahren in Saigon von einer Vietkonggranate zerrissen worden war.
Von diesem Tag an hatte Ridderboom begonnen, im Alkohol Zuflucht zu suchen, bis er ihm völlig verfallen war. Ridderboom war sicher, daß mit dem heutigen Tag die Zeit seines Niedergangs beendet war. Von morgen an würde er ein anderer sein. Sobald sie Manila wieder anliefen, würde er die Marcos III verlassen und auf einem anderen Schiff anheuern.
Er würde sein Kapitänspatent zurückerhalten, das ihm vor zwei Jahren entzogen worden war. Eine Hochstimmung trug Ridderboom, wie er sie schon öfters verspürt hatte. Sie pflegte mit einem gewaltigen Kater am nächsten Tag zu enden, der ihn noch erledigter und verzweifelter zurückließ.
Ridderboom fiel jetzt ein, was er tun könne. Da gab es ein Philippinomädchen an Bord, Angelina Dozal, eine hübsche kleine Prostituierte aus Quezon City. Ridderboom hatte munkeln hören, daß sie nichts dagegen hatte, die Reisekasse so nebenher etwas aufzubessern.
Es ist eben so, daß der Mensch auch im Urlaub von seiner Arbeit nicht ganz loskommt.
Ridderboom wollte Angelina Dozal aufsuchen. Der Geist war willig, aber ob das Fleisch nach all dem Alkohol noch mitspielen würde, war fraglich. Doch daran dachte Ridderboom nicht.
Er nahm noch einen Schluck Scotch und stolperte aus der Kabine, wobei er fast über seine eigenen langen Füße gefallen wäre. Er verließ die Offiziersunterkünfte und lief übers Deck zur Touristenklasse. Hier nahm er noch einen Schluck aus der mitgebrachten Flasche, und plötzlich traf ihn die Wirkung des Alkohols wie eine Keule.
Der Gang vor Ridderboom begann zu wanken und zu schwanken. Trotzdem setzte der Erste Offizier sich unerschrocken in Marsch. In seinem whiskyumnebelten Hirn überlegte er, wo sich Angelina Dozals Kabine nun eigentlich befand. War es diese Etage oder eine tiefere? Dieser Gang oder ein anderer?
Ridderboom pochte schließlich auf gut Glück an eine Tür.
„Wer ist da?“ fragte eine Frauenstimme.
„Angelina?“ wollte Ridderboom hoffnungsvoll wissen.
Die Tür wurde geöffnet. Eine dicke Kreolin stand im Türrahmen, den sie fast ausfüllte. Ein Nachthemd von den Ausmaßen eines Drei-Personen-Zeltes war malerisch über ihre Fettmassen drapiert. Ihre Kraushaare hatte sie zu Zöpfchen eingedreht, die nach allen Seiten von ihrem Kopf abstanden.
Ihr Gesicht, mit irgendeiner Schönheitscreme eingerieben, glänzte, und ihr Mund grinste von Ohr zu Ohr.
Beim Anblick dieser Schönheit ergriff Ridderboom entsetzt die Flucht. Die Kreolin sah ihm kopfschüttelnd nach.
„Schade“, sagte sie und knallte resolut die Tür zu.
Ridderboom verlief sich nun vollends. Er öffnete eine Tür und befand sich bei den Lade- und Gepäckräumen und den Öltanks. Dort torkelte er umher, rannte ein paarmal gegen die Wände an, und öffnete schließlich mehr aus Versehen die Tür eines Laderaums.
„Hick“, sagte Larry Ridderboom.
Es war ihm, als habe er vor sich eine Stimme in der Dunkelheit des Laderaums gehört. Er fühlte eine Eiseskälte durch den Nebel seiner Trunkenheit. Ridderboom tastete nach dem Lichtschalter. Er erwischte ihn tatsächlich, und die Neonröhren flammten auf. Ridderboom erstarrte.
Mitten in dem halbleeren Laderaum stand eine Gruppe von Schreckensgestalten. In bunte Gewänder waren sie gehüllt. Ihre Gesichter waren verwittert, mumifiziert. Ihre Hände waren krallenartige Klauen. In den Augenhöhlen glühte und funkelte es rot.
Eine der schrecklichen Erscheinungen war ganz in Schwarz gekleidet. Henri DeVries, der verfluchte Korsar, und seine Besatzung waren an Bord gekommen. Mitten unter den furchtbaren Wesen stand ein korpulenter, mit einem weißen Anzug bekleideter Mann.
Er deutete auf Larry Ridderboom und rief: „Tötet ihn!“
Die Worte hallten in dem hohen Laderaum wider. Die farbenprächtig gekleideten Mumien zogen Säbel, Degen und Dolche. Sie rückten in geschlossener Front vor, auf Ridderboom zu.
Das Grauen ernüchterte den Ersten Offizier schlagartig.
Er hörte das drohende Knurren der näher kommenden Schreckensgestalten, sah die verwitterten Gesichter, die blanken Klingen in den Klauenhänden.
„Waaaaaahhhh!“ brüllte Ridderboom und rannte aus dem Laderaum.
Seine Beine wollten ihm nicht richtig gehorchen. Er
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