0960 - In den Nebeln
erleben müssen. Er selbst konnte kämpfen, auch wenn er es nicht gerne tat und seine Vampire konnten die Stadt ebenfalls bis zu einem gewissen Grad verteidigen. Wäre es nur um ihn selbst gegangen, er hätte es auf sich genommen. Doch die Menschen, die unter seinem Schutz lebten, würden unter einem solchen Kampf leiden, egal, wie es am Ende ausging. Wenn er nicht bald etwas unternahm, würden die Dämonen Choquai in ihre eigene Hölle verwandeln und vielleicht sogar alles Leben dort auslöschen, bevor er sie aufhalten konnte.
Fu Long blickte auf den mittlerweile dunkelblauen Himmel, an dessen unterem Rand nur noch ein schmaler violetter Streifen an die eben erst versunkene Sonne erinnerte. Rote Lampions tauchten nacheinander in der nun dunklen Stadt auf wie kleine Leuchtfeuer, die verlorenen Seelen den Weg wiesen.
»Das wird nicht geschehen. Choquai wird weiterhin ein Ort des Friedens bleiben«, schwor er. »Und wenn ich dafür eine neue Hölle schaffen muss, um alle Dämonen dorthin zu verbannen.«
***
Der Dämon Ruk war der Quelle ganz nah. Er konnte spüren, wie die magischen Energien immer stärker an ihm zerrten und ihn lockten.
Endlich war er am Ziel. Die Landschaft um ihn herum nahm er nur als verschwommene Schemen wahr, denn er eilte so schnell voran, wie er konnte. Wo er sich befand, war nicht von Bedeutung, nur das Ziel zählte. Die lange Reise hatte ihn geschwächt, aber er musste nur noch ein wenig länger durchhalten, dann würde er in Sicherheit sein und neue Kraft schöpfen können. Er war ein bescheidener Dämon, der nicht viel mehr wollte, als ein nettes Plätzchen und hin und wieder eine arme Seele, die er quälen konnte. Ruk war sich nicht sicher, wie seine neue Heimat aussehen würde, hoffte aber, dass es dort genauso warm und gemütlich sein würde wie in den Schwefel dampfenden Klüften der Hölle, die er so schmerzlich vermisste.
Er konnte sich nicht genau erinnern, was geschehen war. Er wusste nur noch, dass er an einem Ort aufgewacht war, den er nicht kannte und mit schrecklicher Gewissheit gespürt hatte, dass die Hölle, wie er sie gekannt hatte, nicht mehr existierte. Das unerträgliche Gefühl des Verlusts hätte ihn beinahe um den Verstand gebracht, doch dann hatte er den Ruf der Macht vernommen, und in ihm war neue Hoffnung aufgekeimt. Im Kopf malte er sich bereits Bilder glühender Feuerseen und brennender Schwefelberge aus, daher war er ziemlich überrascht, als er plötzlich vor einer Wand aus dichtem weißem Nebel stand. Er musterte dieses seltsame Gebilde von oben bis unten. Es erstreckte sich kilometerweit in alle Richtungen und wies nirgendwo eine Öffnung auf, geschweige denn einen Hinweis darauf, was genau es war. Doch es bestand kein Zweifel: Die Macht, die ihn rief, befand sich dahinter.
Ruk zögerte nur einen kurzen Moment, bevor er einen Arm ausstreckte und ihn in den Nebel hielt, der so dicht war, dass der Dämon seine Hand fast nicht mehr erkennen konnte, obwohl sie sich direkt vor ihm befand. Er zog den Arm wieder heraus, und Dunstschwaden kräuselten sich um ihn herum. Noch bevor sie sich wieder gelegt hatten, war Ruk einen Schritt vorgetreten und vollständig in den Nebel eingetaucht. Es war wesentlich wärmer, als er erwartet hatte. Die Welt draußen war unangenehm kühl gewesen, doch hier herrschten angenehme Temperaturen, wenn auch nicht ganz so angenehm wie in der Hölle, da die Luft hier nicht heiß und trocken, sondern feucht und schwer war. Nach ein paar Sekunden vibrierte plötzlich sein ganzer Körper, als sich der Sog der Macht verzehnfachte und durch ihn hindurchströmte. Irgendwo ganz in der Nähe gab es einen Ort, von dem diese Energie ausging, und er musste ihn erreichen. Er machte sich wieder auf den Weg, aber der dichte Nebel schien überall zu sein.
Eine ganze Weile lang irrte er umher, doch er fand weder Wege noch Felsen noch andere Lebewesen. Hin und wieder meinte er, Geräusche zu vernehmen, ein seltsames Rascheln und ein tiefes ächzendes Knarren. Es schien von überall um ihn herum zu kommen und ließ sich einfach nicht genau zuordnen.
Dieser verdammte Nebel , fuhr es Ruk durch den Kopf, während er den Blick hektisch hin und her schweifen ließ. Die seltsame, leere Umgebung wurde ihm langsam unheimlich. Er mochte ein Dämon sein, doch auch er konnte Furcht vor dem Unbekannten empfinden, und im Moment schlich sich diese Furcht immer weiter in sein Herz und ließ es hektisch pochen, sodass er es bis hinauf in seinen Hals spürte. Wenn
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