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0965 - Die zweite Unendlichkeit

0965 - Die zweite Unendlichkeit

Titel: 0965 - Die zweite Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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Dämonenjägerin besorgt. Sie schien eine Wiederholung der Asiatinnen-Episode zu fürchten.
    Ellie winkte ab, schüttelte den Kopf. »Es ist nur dieser Staub«, sagte sie mühsam. »Ich bin das nicht gewöhnt, scheint mir. In Dead Man's Creek herrschte stets nahezu antiseptische Sauberkeit.«
    Dabei wusste sie instinktiv, dass die Staubschicht eine Wohltat war, verglichen mit dem Gestank der Leichen, den sie zumindest ein wenig kompensierte.
    »Uncle Sam mag uns dort vergessen haben«, ergänzte Ben, »aber seine Hygienestandards blieben trotzdem aufrecht erhalten. Mir schlägt der ganze Dreck hier auch ziemlich auf die Atemwege.«
    Der ältere der Campbell-Geschwister stand wenige Meter weiter in der Mitte des Raumes, wo sich eine Art Kandelaber befand. Statt Kerzen prangten mehrere kleine Öllaternchen an dem schwarzen und gusseisern wirkenden Leuchter, und Ben und Kyrgon waren beidhändig damit beschäftigt, diese mittels irgendwelcher verborgenen Mechanismen zu entzünden. Dies gelang ihnen längst nicht bei allen, doch je mehr sie schafften, desto heller wurde es im Raum.
    Ellie begrüßte das Licht wie einen alten Freund, auch wenn es ihr nur Grausiges zeigte. Viel zu lange schon hatte sie es nicht gesehen.
    Langsam und sich ständig umschauend, trat Nicole weiter ins Zimmer hinein. Sie passierte die »Ruinen« der Verstorbenen, besah sich deren Kleidungsreste. »Ich will nicht drauf wetten«, murmelte sie dabei, »aber dem ersten Eindruck nach sind das Menschen aus den unterschiedlichsten Epochen und Kulturkreisen der Erde. Der hier trägt Blaumann, seine Nebenfrau Kimono. Und zwei Tische weiter sitzt ein dunkelhäutiger Hawaiianer, wenn ich nicht irre.«
    Zamorra nickte und deutete nach rechts, wo ein halb nackter Hüne im Bärenfell und ein Dandy-Typ saßen, der den Resten seiner einstmals wohl sehr edlen Kleidungsstücke nach zu urteilen aus einem Charlotte-Brontë-Roman entsprungen sein musste. »Das finde ich auch. Viel bunter kann eine Mischung gar nicht sein. Man bekommt fast das Gefühl, es mit Absicht zu tun zu haben, oder?«
    »Verschiedene Gegenden kann ich ja noch nachvollziehen«, warf Ben ein. Inzwischen hatten er und Kyrgon es aufgegeben, die wenigen noch nicht leuchtenden Laternen zum Einlenken zu bewegen. »Schließlich stammen auch wir aus unterschiedlichen Teilen der Welt - und ich wage zu vermuten, dass wir und die tote Asiatin so etwas wie die nächste Generation dieser armen Gesellen darstellen sollen. Die Kandidaten für die nächste Spielrunde, um mit Kyrgon zu sprechen. Aber verschiedene Epochen? Das erscheint mir arg unglaubwürdig.«
    »Unterschätzen Sie nicht, wie unglaubwürdig hier ohnehin alles ist«, sagte Zamorra. »Prüfen wir's doch einfach nach. Nicole und ich stammen aus dem Jahr 2011, aus dem Loire-Tal in Frankreich. Wie steht's mit Ihnen, Kyrgon?«
    Ellie stutzte. Ihr Blick traf den Bens.
    Kyrgon hob die Braue. Er sah aus, als wolle er Zamorra gleich den Stinkefinger zeigen. »Wollen Sie mich verarschen?«, knurrte er. »2011? Was soll der Scheiß?«
    »Klingt, als wäre das nicht Ihr Jahrgang«, vermutete Nicole. »Wann wurden Sie denn hierher entführt?«
    »Kann ich dir ganz genau sagen, Püppchen - am selben Tag wie du. Dem 24. März 2045.« Er schnaubte abfällig und deutete auf Ellie. »Und jetzt hör auf mit den Flunkereien. Du machst unserem Nesthäkchen hier Angst.«
    Ellie schüttelte den Kopf. »Das nicht. Zumindest nicht sie allein. Ich…«
    »In welchem Jahr brachen Sie aus Ihrer Zelle in Dead Man's Creek aus, Ellie?«, fragte Zamorra sanft. »Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich schon länger die Vermutung, dass Sie und ich verschiedenen Jahrzehnten angehören. Ihre Geschichte… Mental-Soldaten für Uncle Sam… Das klingt für mich stark nach einem Projekt, dessen Wurzeln in der Flower-Power-Ära liegen könnten. Sind Sie und Ihr Bruder aus den Sechzigern?«
    »Unsere Eltern«, antwortete Ben an ihrer Stelle. Ellie war dankbar dafür, denn die Erkenntnis schnürte ihr geradezu die Kehle ab. »Sie taumelten gewissermaßen geradewegs von Woodstock in Perrys offene Arme.«
    »Perry?«, hakte Nicole nach.
    »Brent S. Perry. Leiter des Projekts Desert Blow, dessen Zentrale und alleinige Bastion unterhalb von Dead Man's Creek liegt. DB war von Anfang an Perrys Baby. Er gründete es 1969 und führt es bis zum… Na ja, bis zu unserem heutigen Tag.«
    »Und der wäre?«
    Ben sah zu Ellie. Diese nickte. »1984«, sagte sie leise. »Vierzehnter Mai, genau gesagt.

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