0966 - Der Weg des Jägers
Zeit des Wartens war vorbei.
***
Zaatuur bleckte die Zähne, während es in seinen schwefelgelben Augen belustigt aufblitzte. Obwohl die Zusammenkunft - wie all die anderen in den Wochen zuvor - von größter Wichtigkeit war, konnte er nur mit Mühe ein verächtliches Lachen zurückhalten.
Der Dämon blickte von seiner erhöhten Position über die höllische Gemeinde hinweg. Er wusste nicht, wofür die Menschen das Gebäude verwendet hatten, bevor es zur Ruine geworden war. Für Tanzveranstaltungen womöglich. Oder als Theater. Es war ihm aber auch egal. Was zählte, war die Bühne am Stirnende des großen Zentralraums. Wie geschaffen für die Inszenierung seiner Rituale.
Wohin er auch sah, entdeckte er Fleischliche, deren Gesichter in den Schatten ihrer spitz zulaufenden Kapuzen verborgen lagen. Siebenunddreißig Männer und Frauen starrten ihm mit erwartungsvollen Blicken entgegen.
Diese elenden Sterblichen waren genauso lächerlich wie ihre Verkleidungen. Es gab unter den Anwesenden nicht einen, der sich Zaatuurs magischem Zirkel nicht aus niederen Beweggründen angeschlossen hatte. Jedem von ihnen ging es nur um die Mehrung von Reichtum und Macht, Erhalt der Jugend oder Erlangung der Unsterblichkeit. Dafür taten sie alles - und merkten nicht einmal, dass der Dämon sie nur ausnutzte.
Wie einfältig diese weichhäutigen, kleingläubigen Kreaturen doch sind!
Am liebsten hätte Zaatuur sie auf der Stelle getötet, doch er brauchte sie noch. Wenn er ihre gesammelte Willenskraft anzapfte und mit seinen Zauberkräften verband, war es ihm möglich, trotz seines geschwächten Zustands die Energien des Menschenopfers zu kontrollieren.
Eine aufwendige Prozedur, gewiss. Aber notwendig, da er seit einem halben Jahr keinen Kontakt zu den Schwefelklüften herstellen konnte. Seit jenem Zeitpunkt, in dem er die fürchterliche Erschütterung im magischen Universum gespürt hatte.
Ein uraltes Gesetz zwang Zaaturr und seine Ahnenschaft dazu, von Zeit zu Zeit ins Höllenreich zurückzukehren. Nur die alten Sümpfe seiner Sippe lösten einen regenerativen Prozess in ihrem Leib aus, ohne den sie nicht überlebten. Nichts hatte bislang diesen seit Jahrtausenden bestehenden Ablauf gestört. Bis vor einem halben Jahr.
Zaatuur hatte die ersten Auswirkungen der Degeneration verspürt und ein Tor in die Hölle öffnen wollen - und war kläglich gescheitert. Auch alle nachfolgenden Versuche waren fehlgeschlagen. Nach einiger Zeit war Panik in ihm aufgeglommen, denn der Verfall schritt voran.
Mittlerweile war der Dämonenkörper so in Mitleidenschaft gezogen, dass er längst nicht mehr wie der eines muskelgestählten Manns mit ebenmäßigen Zügen aussah, ja fast schon nicht mehr wie ein Mensch überhaupt. Geschwüre, Pusteln und Beulen breiteten sich immer weiter auf Gesicht und Leib aus. Aus der puterroten Haut tropfte Dämoneneiter. Zudem quälten ihn Schmerzen, wie er sie niemals zuvor verspürt hatte. Seine Gemeinde wäre sicherlich entsetzt gewesen, wenn sie ihn ohne seine Kutte hätte sehen können.
Der Verfall schritt von Tag zu Tag voran. Und er vermochte ihn auf althergebrachtem Weg nicht zu stoppen, weil sich dieses verfluchte Tor nicht öffnen ließ. Fast hätte er glauben können, die Hölle existiere nicht mehr, aber dieser Gedanke war zu abwegig, um ihn ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Vielleicht hatte er bereits zu viel Zeit auf der Erde verbracht, womöglich reichten seine Kräfte deshalb nicht mehr aus. Nun, dann würde er sich die nötige Stärke eben auf anderem Weg besorgen.
Er hatte die Anhänger seines magischen Zirkels vermehrt aktiviert, damit sie durch ihren vereinten Willen die Energien von Menschenopfern so lenkten, dass ihm endlich gelang, wonach er sich so sehnte: ein Tor in die Schwefelklüfte aufzustoßen.
Doch dieser Schwarze-Messen-Marathon hatte bislang nichts bewirkt.
Zaatuurs Verzweiflung wuchs. Allmählich schob sich der unakzeptable Gedanke immer weiter in den Vordergrund.
Nämlich, dass die Hölle nicht mehr existierte!
Eine vollkommen unsinnige Annahme, denn die Schwefelklüfte würden bis in alle Ewigkeit existieren.
Und dennoch! Zaatuur hatte bei jeder der Messen auf die korrekte Durchführung aller Rituale geachtet. Dass ihm trotzdem kein Erfolg beschieden war, musste einen anderen Grund haben. Es musste einfach!
Plötzlich einsetzender Singsang riss ihn aus den Gedanken.
Er blickte auf seine Anhängerschaft hinab. Zwischen den Fleischlichen bildete sich eine Gasse, in der zwei
Weitere Kostenlose Bücher