0966 - Der Weg des Jägers
unwillig den Kopf, verzog den Mund und deutete auf das Schreibtisch-Chaos. »Ich hatte mir mehr erhofft. Oder weniger, je nach dem, wie man es sieht. Wenn wir all die Unterlagen, die wir allein in diesem Raum gefunden haben, durcharbeiten müssen, kann das Jahre dauern. Ich glaube nicht, dass Sie so lange freigestellt werden!« Der Schotte griff erneut in den Beutel und holte einen weiteren Kalender hervor. »Oder dass es genügend Currywurst in Hof gibt, damit Sie diese Zeit problemlos überstehen.«
Ziellos blätterte er zwischen den Seiten hin und her.
»Hier zum Beispiel. 17. September 1989: 20:00 Uhr: Essen mit Renate! Romantik ist gefordert!!! Mit drei Ausrufezeichen. Mich interessiert es schon mit einem nicht.«
Sein Zeigefinger wanderte einige Tage weiter.
»Oder hier. 8. Oktober: 14:00 Uhr: Neuer Patient Hardy Kulke. Zustand nach Bandscheiben-OP. Ich weiß ja nicht mal, was er damit ausdrücken wollte.« Dylan schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Scheint noch aus seiner Zeit als Knochenverdreher zu stammen.«
Er seufzte erneut und warf auch diesen Kalender beiseite.
Der Polizist schob den ersten Bissen in den Mund und kaute munter drauflos. »Haben Sie Geduld. Wir finden schon noch was. Das habe ich im Urin.«
Dylan konnte trotz des Frusts, der sich in ihm aufgestaut hatte, nicht anders. Er musste grinsen. Zamorra hatte nicht zu viel versprochen. Kommissar Saal war wirklich ein Original und der ideale Helfer beim Durchforsten des Steigner-Hauses.
Trotzdem erschien es Dylan sinnlos, nach weiteren Spuren zu suchen.
Sein Blick wanderte zu dem eingerahmten Foto an der Wand. Es zeigte die Familie Steigner.
Alle drei lächelten freundlich in die Kamera. Wie sie da so adrett und fröhlich zu sehen waren, versetzte Dylan einen schmerzhaften Stich in die Brust. Er wusste, welch furchtbares Schicksal ihnen widerfahren war.
Der Nachwuchsdämonenjäger griff abermals in den Beutel.
Auf ein Neues!
Er seufzte zum wiederholten Mal und fischte einen weiteren Kalender hervor. Vielleicht hatte Saal recht, und er fand noch den entscheidenden Hinweis. Daran glauben konnte er aber nicht. Lustlos blätterte er sich durch die Seiten.
»Toll!«
»Was denn?«, fragte Saal.
Der Kampf gegen die riesige Currywurst ging in die Zielgerade. Offenbar, um dafür gerüstet zu sein, spülte er mit Mineralwasser nach.
»Es ist für uns von absoluter Bedeutung, dass das Finanzamt am 13. Mai 2000 Steigner eine Mahnung geschickt hat. Was war das nur für ein Mensch? Zahlt seine Steuern nicht, schreibt sich aber auf, wenn er einen bösen Brief deshalb bekommt. Oder hier! Zwei Tage später hat er geschrieben: Kerth war hier, um sich zu bedanken. Habe ihn weggeschickt! Bedanken in Anführungszeichen. Na, wenn das mal nicht die Spur ist, die wir so verzweifelt suchen.«
Er schleuderte den Kalender zur Fensterbank und ließ den Leinenbeutel auf den Boden fallen.
»Ich wiederhole: Es ist aussichtslos. In meinem Wortschatz existiert dieser Begriff noch. Ich denke, ich sollte aufgeben, nach Schottland zurückkehren und Ihre Zeit nicht weiter vergeuden. Es tut mir wirklich…«
»Kerth?«, unterbrach Saal Dylans Sermon.
»Was?«
»Sagten Sie eben Kerth?«
»Ja, wieso?«
Der Kommissar antwortete nicht, erhob sich von seinem Stuhl und ging zur Fensterbank. Er nahm den weggeworfenen Taschenkalender hoch und schlug ihn auf.
»15. Mai: Kerth war hier, um sich zu bedanken«, wiederholte er und wirkte so, als versuche er sich angestrengt etwas in Erinnerung zu rufen. »Diesen Namen kenne ich. Ich habe ihn irgendwo gelesen und es hatte mit Steigner zu tun.«
Urplötzlich wirbelte der Kommissar herum und eilte aus dem Arbeitszimmer.
»Kommen Sie. Wir müssen zum Präsidium!«
Dylan kam Saal kaum hinterher, so schnell verließ dieser das Haus.
Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, dann saßen die Männer in Saals kleinem Büro, wo dieser eine Schreibtischschublade aufschloss und einen altmodischen Pappschnellhefter hervorholte.
»Kerth… Kerth… Kerth…«, murmelte Saal ununterbrochen beim Umblättern. Plötzlich verstummte er und las aufmerksam in dem Text. »Volltreffer!«
Dylan spürte ein aufgeregtes Prickeln im Nacken.
»Einige Jahre, nachdem seine Familie verschwunden war, scheint Steigner irgendwie in eine polizeiliche Ermittlung außerhalb Bayerns verwickelt worden zu sein. Es ging um einen Doppelmord in Neumünster. Steigner wurde von den Kollegen damals als…«
Saal stockte, als könne er nicht glauben, was er da
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