0971 - Ein Galgen für Morgana
Vorsprung und würde auch das Seeufer vor mir erreichen, aber mir würde es nichts ausmachen, durch den Gras- und Schilfgürtel in das Wasser zu laufen.
Ich sah nur ihren Rücken, dazu die wippenden Haare und auch die zerrissene Kleidung. Was sie hier zu suchen hatte, war mir unbekannt. Nur formte sich in meinem Kopf etwas zusammen, denn ich dachte daran, daß Cursano plötzlich eine Waffe besessen hatte. Es konnte durchaus sein, daß er sie der Person abgenommen hatte. Und auch der vernichtete Vampir hatte den Eindruck erweckt, als wäre ihm der Kopf durch mehrmaliges Zuschlagen abgehackt worden. So etwas gelang mit einem Beil. Deshalb brauchte die Frau nicht unbedingt so harmlos zu sein.
Sie hatte ihren Vorsprung nicht ausbauen können. Im Gegenteil, ich holte auf. Die Häuser lagen hinter mir, aber mir war auch klar, daß ich die Frau nicht vor Erreichen des Sees stellen konnte.
Dafür hörte ich sie. Das Trommeln der Füße auf dem harten Boden, ihren keuchenden Atem. Die Laute hörten sich wütend an.
Ich würde die Person kriegen. Es gab für sie keinen Ausweg. Sie drehte sich nicht mal um. Wie jemand, der unbedingt sein Gesicht vor einem anderen verbergen wollte.
Steckte dahinter tatsächlich Methode, oder bildete ich mir das alles nur ein? Wollte sie nicht gesehen oder erst so spät wie möglich, weil ich sie unter Umständen kannte?
Das alles flitzte mir durch den Kopf, während ich vor mir ein Geräusch hörte, als klapperten alte Knochen gegeneinander.
Es war das Rohr am Ufer, durch das die Frau marschierte. Sie drückte es auseinander und schuf sich somit Platz.
Sie hätte an jeder beliebigen Stelle den Schilfgürtel durchbrechen können, aber sie war bis zu diesem Ort gelaufen, und es sah mir so aus, als hätte sie sich dort schon einen Trampelpfad geschaffen.
Es gab ein Ziel.
Ich sah ein Boot im Schilfgürtel liegen. Einen schwerfällig wirkenden Kahn, der auf sie wartete.
Ihre einzige Fluchtmöglichkeit.
Der schnelle Lauf war abrupt abgebremst worden. Nicht nur bei der Frau, auch bei mir, denn meine Füße patschten sehr bald durch das flache Wasser, unter dem der weiche Schlamm lag und an meinen Schuhen zerrte, als wollte er sie mir von den Füßen ziehen.
Der schnelle Lauf hatte uns beide mitgenommen. Ich hörte mein eigenes Keuchen.
Mit beiden Armen räumte ich die Hindernisse zur Seite. Im Schilf ging es relativ einfach, aber das Rohr schlug immer wieder zurück, als wollte es mich aufhalten.
Die Frau erreichte das Boot zuerst. Es lag dort, wo das Wasser nicht mal kniehoch stand. Ich war vielleicht vier, fünf Meter entfernt und würde sie immer zu packen kriegen. Bis sie in das Boot geklettert war und es in Bewegung gesetzt hatte, war ich bei ihr.
Sie kletterte nicht, sie griff nur hinein. Ich war noch in Bewegung. Ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten und bekam mit, wie auch sie ihre Arme bewegte.
Die Hände tauchten in das Boot hinein. Dort suchten und fanden sie sofort etwas. Die Frau hob ihren Oberkörper an. Danach schwang sie mit dem herum, was sie aus dem Boot hervorgeholt hatte.
Kein Paddel, kein Ruder, wie es normal gewesen wäre, sondern eine Stange.
Die Frau drehte sich, und plötzlich wies das eine Ende der Stange auf mich. Auch als es vorgestoßen wurde, wäre es für mich kein Problem gewesen, der Stange auszuweichen, doch das tat ich nicht.
Ich war einfach zu überrascht, denn erst in diesem Augenblick hatte ich das Gesicht der Frau gesehen.
Ich kannte es.
Ich kannte die Frau.
Es war Morgana Layton, die Werwölfin!
Es war der berühmte Blitzschlag durch den Kopf. Das Erkennen, das Staunen, die Überraschung.
Das alles kam bei mir zusammen und sorgte bei mir für eine gewisse Handlungsunfähigkeit.
Ideal für Morgana, denn das nutzte sie aus.
Plötzlich schleuderte sie die Stange nach vorn. Ausweichen konnte ich nicht mehr. Sie hatte gut gezielt. Dicht über der Magengrube wurde ich getroffen. Es war ein böser und explosionsartiger Schmerz, der mich erwischte und von den Beinen riß.
Ich fiel zurück, krachte zwischen das Rohr und das Schilfgeflecht, das meinen Fall zwar verlangsamte, mich aber nicht aufhielt. Kurze Zeit später spritzte das Wasser auf, dann platschte es über meinem Körper zusammen, und ich steckte in der verdammten Brühe…
***
Damit hatte ich nicht gerechnet, das hatte ich auch nicht gewollt. Nun lagen alle Chancen auf Morganas Seite. Ich konnte sie nicht sehen, da ich die Augen geschlossen hielt. Es hätte auch
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