0979 - Der Totenhügel
es gut, wenn wir uns diesen Sidney Byron einmal anschauen könnten.«
»Natürlich, meine Herren, das versteht sich. Aber ich musste zuvor einiges loswerden.«
»Ist klar.«
Wir erhoben uns. Das Büro des Arztes war durch die Klimaanlage einigermaßen kühl gehalten, während draußen ein schwüler Sommertag gegen die Scheibe drückte. Ein Gewitter lag in der Luft.
Drei Wände waren mit Regalen bedeckt, in denen zahlreiche Fachbücher standen. Ansonsten gab es nichts Persönliches in diesem Raum, und der viereckige Monitor des Computers wirkte wie ein kaltes Auge.
Der Raum selbst lag in einem kleinen Seitentrakt der Klinik, wo auch andere Büros untergebracht waren. Der Flur sah kahl und nüchtern aus. Hier gab es nichts Freundliches.
»Wir müssen in den Keller«, erklärte Dr. Morris, der vorging und auf eine graue Fahrstuhltür deutete.
»Wir nehmen diesen Weg. Er ist nur für das Personal gedacht.«
»Geht schon in Ordnung.«
Der Oberarzt lächelte nervös, als wir vor dem Lift standen. Er schüttelte auch einige Male den Kopf, aber er sprach nicht mit uns. Schließlich drehten sich seine Gedanken um den Patienten, der für ihn zu einem Phänomen geworden war.
Auch ich dachte nicht an die Gegenwart, sondern mehr an die nahe Vergangenheit. Wir waren erst vor zwei Tagen aus Japan zurückgekehrt, wo wir, zusammen mit Yakup Yalcinkaya, Shimada in einem letzten Gefecht gegenübergestanden hatten. Wir hatten diesen Kampf gewonnen, wenn auch unter schweren Verlusten, aber Shimada lebte nicht mehr, und wir hofften, dass mit ihm auch die Festung zerstört war.
Überlebt hatten Yakup und seine Freundin Eva. Sie wollten zusammenbleiben und irgendwo in der Welt ein neues und ruhiges Leben anfangen, wo sie möglichst wenig mit Dämonen und ähnlichen Kreaturen zu tun bekamen. Yakup würde uns Bescheid geben, wenn er einen derartigen Ort gefunden hatte. Ob er die Vergangenheit allerdings ganz auslöschen konnte, das blieb die große Frage.
Der Fahrstuhl brachte uns in den Keller, in die andere Welt des Krankenhauses, die noch kälter war.
Und das hing nicht nur mit der Temperatur zusammen. Zwar war hier unten die Wäscherei untergebracht, auch die Hausmeisterei mit den Energieanlagen, aber auch der Trakt, in dem die Verstorbenen aufbewahrt wurden.
Wir kannten solche Umgebungen. Wer sich hier wohl fühlte, hatte einen Riss in der Schüssel. Wir jedenfalls liebten diese Umgebung nicht. Man konnte den Tod spüren. Die Kälte kam mir nie normal vor, sondern eher künstlich, als wäre sie auch von den Leichen abgestrahlt worden, die hier aufgebahrt wurden. Daran konnte auch der Geruch zahlreicher Desinfektionsmittel nichts ändern.
Dr. Morris ging vor. Er hielt den Kopf gesenkt, und wir hatten den Eindruck, als wäre er dabei, mit sich selbst zu reden. Sein Kittel stand offen, die Hände hatte er in den Taschen versteckt. Ein unruhiger Geist, für den eine Welt zusammengebrochen war, die er nicht hatte festhalten können.
Im Augenblick herrschte hier unten im Keller kein Betrieb. Nur wir drei bewegten uns durch das kalte schattenlose Licht auf eine Tür zu, die natürlich verschlossen war.
Dr. Morris zog einen Schlüssel hervor, öffnete aber noch nicht. Er sagte: »Wir stehen hier vor einem Einzelraum. Sie finden keinen weiteren Toten außer Sidney Byron. Und bei ihm steht noch nicht fest, ob er überhaupt tot ist.«
»Er kann also jetzt leben?« fragte ich.
»Ja, das ist möglich. Er schwankte ja zwischen verschiedenen Zuständen.«
»Bitte, Dr. Morris.«
Er hatte nach seiner Antwort wie versunken in seine eigene Gedankenwelt gestanden. Jetzt wurde er aus ihr hervorgerissen und schob den Schlüssel in das Schloss. Zweimal musste er ihn drehen. Der Arzt schnaufte dabei, drückte die Tür auf und ließ uns den Vortritt, nachdem er mit einer schnellen Bewegung den Lichtschalter gedrückt hatte.
Vor uns lag ein kleiner, kahler Raum mit grauen Wänden. Glatter Beton, eine glatte Decke und in der Mitte eine fahrbare Bahre, auf der der Tote oder Nichttote lag.
Hinter uns fiel die Tür wieder zu, als Suko und ich von zwei Seiten an die Bahre herantraten, während sich der Arzt zunächst zurückhielt. Er ließ uns Zeit, damit wir uns einen ersten Eindruck verschaffen konnten.
Der Körper lag unter einer Decke, einem Leichentuch aus hellem Stoff, das beinahe hoch bis zum Kinn reichte. Wir sahen den Mann zum erstenmal, und beim Blick in das wachsbleiche Gesicht überkam zumindest mich die Überzeugung, es hier mit
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