0981 - Der Fluch des alten Kriegers
Sommerjacketts befanden sich die Schlüssel für die Türen. Seinen Wagen hatte er jenseits des Tors abgestellt. Der Fiat Punto hatte einige Stunden in der Sonne gestanden.
Er hatte sich entsprechend aufgeheizt. Inzwischen waren die Schatten länger geworden. Zwar stand die Sonne noch am Himmel, aber die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Bald würde tief im Westen der Himmel in Flammen stehen.
Auch hier handelte Bailey nach einem Ritual. Er wollte zuerst die Leichenhalle kontrollieren und sich anschließend um die Trauerhalle kümmern. Das war ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
Er ging über den schmalen Weg dicht an der Fassade entlang. Seine Füße waren mit dem Staub des Friedhofs bedeckt. Auf den hellen Steinen hatten die Büsche ein Muster aus Schatten hinterlassen. Er nahm den Geruch von Jasmin auf, den er nie so mochte, weil er ihm einfach zu stark war. Dieser Geruch erinnerte Don immer daran, wer in dieser Erde lag.
In der näheren Umgebung der Hintertür waren die Büsche gestutzt worden. Sie wucherten einfach zu schnell, und auch jetzt hatten sie ihre neuen Arme schon ausgestreckt, als wollten sie in das dicke Holz der Tür hineindringen.
»Da muß bald mal der Gärtner vorbeischauen«, murmelte Bailey, als er seinen Schlüssel aus der Tasche holte. Es waren mehrere, die zu verschiedenen Gebäuden auf den entsprechenden Friedhöfen paßten.
Um sie nicht zu verwechseln, weil die Schlüssel ziemlich gleich aussahen, hatte er sie numeriert.
Für diese Tür zückte er den Schlüssel mit der Nummer fünf.
Er wollte ihn gerade ins Schloß stecken, da hörte er hinter sich das Rascheln. Der Wind konnte die Zweige oder Blätter nicht bewegt haben, es gab ihn einfach nicht. Ein Tier auch nicht. Der Mann fühlte sich plötzlich unwohl.
Er drehte sich trotzdem um - und erschrak.
Vor ihm stand ein Mann!
Plötzlich klopfte sein Herz rasend schnell, denn diese Person war ihm völlig fremd. Dieser Mensch trug zwar nicht gerade die modernste Kleidung, aber er machte trotzdem keinen abgerissenen Eindruck auf Bailey. Etwas anderes störte ihn mehr. Es war das fremde Gesicht und die dichten grauen Haare, die nach hinten gekämmt und zu einem Zopf geflochten worden waren. Auch der Zopf war modern, blieb nur das Gesicht. Es war das eines älteren Mannes, sehr faltig, von Runzeln durchzogen, aber mit sehr klaren Augen, deren Blick etwas Hypnotisches an sich hatte.
Bailey überlegte fieberhaft. Er kannte diese Gesichter. Er wußte auch, wo er sie schon des öfteren gesehen hatte. Allerdings nicht oder nur selten auf Londoner Straßen. Dieses Gesicht war das eines Indianers.
Ja, vor ihm stand ein Indianer!
Er hatte sie auf Fotografien gesehen, auch in Western-Filmen. Eigentlich fehlte bei ihm nur noch die Feder im Haar. Dann wäre er perfekt gewesen.
Da der Fremde nichts sagte, und Bailey seinen ersten Schreck verdaut hatte, fand er auch wieder die richtigen Worte. »Was wollen Sie hier? Wer sind Sie?«
»Ich habe auf Sie gewartet.«
»Wieso auf mich?« Bailey wollte lachen, was ihm aber nicht gelang. Ihm wurde schon unheimlich zumute.
»Ich möchte in die Leichenhalle.«
Bailey blieb vor Staunen bald der Mund offenstehen. »Das ist nicht möglich«, hauchte er. »Nein, das können Sie nicht.«
»Ich brauche nur den Schlüssel«, erklärte der Apache mit ruhiger Stimme.
Don Bailey schnappte nach Luft. Verdammt, er fühlte sich in die Enge gedrängt. Hinter ihm befand sich die geschlossene Tür, und vor ihm stand der Krieger, der ihm den Weg versperrte.
Das sah nicht gut für ihn aus. Trotzdem riß sich Don Bailey zusammen.
»Was wollen Sie denn in der Halle?«
»Abschied nehmen.«
»Von wem?«
»Sie wissen doch, wer dort aufgebahrt liegt. Oder nicht?«
»Ja, schon, aber…« Bailey senkte den Kopf. Er suchte nach einem Ausweg und nach einer Ausrede. Als er den Fremden dann wieder anschaute, hatten sich dessen Augen verändert. Schon bei der ersten Begegnung war ihm der seltsame Blick des anderen aufgefallen, der aber hatte sich jetzt verändert, denn in den Augen stand etwas, das Bailey nicht begriff. Es war dort eine Kraft vorhanden, die der seinen voll und ganz überlegen war und dafür sorgte, daß sein eigener Wille allmählich wegschwamm. Er kam nicht mehr zurecht, er wußte nicht, was er noch tun sollte. Er wollte und konnte auch nicht gehen, denn die andere Person drang durch seine Gedanken in ihn ein.
Don Bailey kam das Wort Hypnose nicht mehr in den Sinn, da stand er schon unter der
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