0983 - Die Schamanin
aufgestanden. »Zieh dir was über, Sheila, den Rest kannst du mir im Wagen erzählen.«
»Okay, mach ich.« Sie zögerte noch. Beinahe bittend schaute sie mich an. »Mal ehrlich, John, glaubst du wirklich, daß diese Imelda auch versucht, an Johnny heranzukommen?«
»Rechnen müssen wir mit allem…«
***
Bill hatte das Gefühl, sich im Wasser in eine Stange Eis zu verwandeln.
Der Schreck hatte ihn starr werden lassen. Erst als das Wasser über seinem Kopf zusammenschlug und auch in seinen Mund drang, da bewegte er wieder seine Arme und drückte sich an die Oberfläche. Er schaute genau hin und entdeckte, daß dieses verfluchte Krokodil seine Haltung nicht verändert hatte. Es lauerte noch immer. Nur war das Maul jetzt geschlossen. Ein Teil der langen Schnauze lag auf der Wasseroberfläche, und Bill starrte direkt in die hochstehenden Augen, die ihm vorkamen wie kalte Kugeln.
Er hörte Imeldas Lachen. Sie freute sich. Beinahe übermütig wie ein Kind planschte sie im Wasser, daß es nur so spritzte. »Möchtest du noch immer aus meinem Haus verschwinden, Bill?«
Er gab keine Antwort.
Das tat Imelda für ihn. Dabei schwamm sie langsam auf das Krokodil zu.
»Du kannst gehen, aber du mußt an meinem Freund hier vorbei. Wenn er nicht will, daß du mein Haus verläßt, hast du nicht den Hauch einer Chance, Bill. Es sieht ganz danach aus, als wollte dich das Krokodil nicht gehen lassen.« Imelda hatte die Echse erreicht. Sie streckte beide Arme aus dem Wasser und legte sie auf den gepanzerten Rücken des Tieres, das sie zugleich als Stütze benutzte.
Die Echse rührte sich nicht. Sie ließ es zu, daß Imelda auf ihren Rücken kletterte. Dort hockte sie und verschränkte die Arme unter ihren Brüsten.
In dieser Haltung wirkte sie wie eine perfekte Dompteuse oder eine Königin der Echsen, die einfach alles beherrschte.
Allmählich spürte Bill schon die Kälte des Wassers, obwohl ihm zuerst warm geworden war. Aber er fragte sich zugleich, ob es nur das kalte Wasser war, das ihn frieren ließ oder ob diese Kälte vielleicht doch von innen her kam.
Imelda beugte sich vor. Sie streichelte mit den Handflächen über die obere Hälfte des Mauls hinweg, und das Krokodil rührte sich nicht. Es wirkte wie ein Wesen, das diese Berührungen einfach nur genoß. Die Schamanin flüsterte sogar mit dem Tier, nur waren keine Worte zu verstehen.
Dann richtete sie sich wieder auf. »Nun, Bill, ich warte noch immer auf deine Antwort.«
»Was soll ich sagen?«
»Die Wahrheit.«
Bill grinste kalt. »Ja, ich werde sie dir sagen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als bei dir zu bleiben.«
»Du kannst auch gehen.«
»Um von deinem Freund gefressen zu werden?«
»Auch das kann passieren.«
»Ich bleibe!«
»Schön, dann schwimm ans Ufer.«
Sie brauchte Bill auch nicht zu warnen, er wußte schon, was er tat, und er bewegte sich mit langsamen Schwimmstößen auf den Ort zu, der ihm befohlen worden war.
Imelda hielt ihn unter Beobachtung. Bill blieb ruhig. Er schielte nach rechts, als er an dem Krokodil vorbeischwamm. Die Echse rührte sich nicht. Sie lag so ruhig wie ein alter Baumstamm im Wasser, aber sie würde bei der geringsten Bewegung in Aktion geraten, und auch ein Schlag mit dem Schwanz konnte einen Menschen töten.
Bill dachte auch an Ortiz. Der Mann wartete auf ihn. Wenn die Zeit schon überschritten war, so hoffte Bill, würde Ortiz vielleicht die Polizei alarmieren.
Aber das waren mehr Wunschträume. Bill wußte auch, daß dieser Mann Angst vor Imelda hatte.
Bill erreichte das Ufer und wühlte sich dort durch den dichten Bewuchs.
Als er hochkletterte, schaute er kurz zurück.
Das Krokodil lag im Wasser. Imelda hockte auf dem schuppigen Panzer und bewegte sich nicht.
Als Bill das Trockene erreicht hatte, drehte sich auch das Krokodil. Der Reporter überlegte, ob er jetzt die Flucht wagen sollte, aber er wußte auch, wie schnell diese Tiere waren, und er konnte zudem davon ausgehen, daß Imelda auch noch weitere Fallen aufgebaut hatte.
Wie zur Bestätigung seiner Annahme hörte er die Schwingen rauschen, dann strich der Rabe hautnah über sein Haar hinweg. Bill zog noch den Kopf ein. Der Vogel drehte sich unter der Decke und glotzte kalt auf ihn nieder, während er schrill krächzte, was sich wie ein Lachen anhörte.
Bill Conolly war tropfnaß. Aus seinen Haaren rann das Wasser und hinterließ auf dem Gesicht blasse Streifen. Er wischte die Augen frei und konnte erkennen, wie sich das Krokodil ebenfalls
Weitere Kostenlose Bücher