0999 - Der Mitternachtsfluch
schrie, den Hubschrauber dicht vor sich sah und das Oberbett zum genau richtigen Zeitpunkt losließ.
Es packte wie eine Klammer zu. Plötzlich war der Hubschrauber verschwunden.
Das Brummen war kaum noch zu hören, und das Gewicht des Oberbetts hatte die Maschine in die Tiefe gedrückt. Sie lag jetzt am Boden, aber dort bewegte sie sich noch weiter, wie die Frau erkennen konnte, denn das Oberbett warf Wellen, als steckte darunter ein Hund oder eine Katze, die sich befreien wollte.
Für Helen war die Bahn frei. Sie hätte nicht damit gerechnet, so großes Glück zu haben, und sie würde sogar noch die Zeit finden, sich um ihren Sohn zu kümmern.
Der Gedanke an David beflügelte sie. Auf seinen Zustand wollte sie keine Rücksicht nehmen. Und wenn sie ihn hochreißen und aus dem Zimmer tragen mußte.
Helen sah sein gequältes und auch entsetztes Gesicht dicht vor sich, als sie sich bückte. Der Junge war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Zwar bewegte der seine Lippen, doch ein Wort drang nicht hervor. Helen bückte sich. Sie faßte David unter und zerrte ihn in die Höhe. Er half ihr dabei kaum, weil er durch seine Schwäche dazu nicht in der Lage war.
So zerrte sie ihn hoch.
»Komm jetzt, David, komm!«
Sie schob ihn vor und trieb ihn an. David bewegte zwar seine Beine, nur schienen sie aus Gummi zu bestehen, denn immer wieder sackte er zusammen.
Helen machte weiter. Er sollte aus dem Raum. Er sollte in den Flur. Sie wollte die Tür zuhämmern. Dann die Treppe hinunter. Nach draußen laufen, Hilfe holen.
David jammerte. Darum konnte sich seine Mutter nicht kümmern. Seine Sicherheit war wichtiger. Da spielte es keine Rolle, ob er irgendwelche Schmerzen hatte.
Sie stieß ihn vor.
David bewegte seine Beine. Rückwärts wurde er auf die Tür zugestoßen, die leider zugefallen war. So verlor Helen wieder wertvolle Sekunden, bis sie die Tür geöffnet hatten.
David stolperte über die Schwelle in den Gang. Helen hatte eine Hand benötigt, um die Tür zu öffnen, deshalb war ihr Griff nicht mehr so stark gewesen. Der Junge prallte gegen die Wand, wo er sich nicht halten konnte und langsam an ihr entlang zu Boden sackte. Helen drehte sich um. Sie hatte es einfach tun müssen und stand plötzlich wieder unter Strom, denn sie sah, wie sich der Hubschrauber aus seinem Gefängnis befreite. Es war niemand dagewesen, der ihn hätte abstellen können, so rumorte und kämpfte er weiter. Seine Rotorblätter waren wie scharfe Messer, die sich in den Stoff des Oberbetts hineingruben, ihn sogar zerfetzt hatten, so daß die Federn in die Höhe geschleudert wurden und sich wie Schneeflocken im Zimmer verteilten.
Es wurde Zeit. Sie hörte das verdammte Brummen. Sie sah auch ihren Sohn, wie er versuchte, durch den Gang zu kriechen und sich dabei auf dem Weg zur Treppe befand.
Helen lief ihm nach. Sie wollte nicht, daß er die Stufen hinunterrollte. Da konnte er sich den Hals brechen. Bevor er noch mit der Hand die oberste Stufe berührte, packte sie ihn. Daß sie die Tür zu seinem Zimmer nicht geschlossen hatte, war ihr in diesem Augenblick nicht bewußt, aber der Kampf um den Jungen und um ihre Flucht ging weiter.
Sie zerrte David hoch. »Halt dich fest!« keuchte Helen. »Junge, du mußt dich am Geländer festhalten. Versuche es wenigstens. Wir müssen hier raus, verstehst du?«
Er gab keine Antwort. Er hob auch nicht den Arm an, um sich tatsächlich abzustützen.
Das machte Helen für ihn. Seine Hand klatschte auf den halbrunden Knauf, rutschte wieder ab, wurde wieder angehoben, und dann mußte Helen weg.
Sie stieg nicht normal die Treppe hinunter. In diesem Augenblick ging es um ihr Überleben und um das ihres Sohnes. Beide wollten sie aus der tödlichen Klemme entwischen.
Sie krochen, fielen und rollten die Treppe hinab. Es war nicht so schlimm wie bei einem normalen Sturz, und Helen war auch viel zu angespannt, um die Aufschläge mit den verbundenen Schmerzen voll zu spüren. Für sie war es einzig und allein wichtig, das Haus zu verlassen.
So gut es ging, hielt sie David umschlungen. Jeder Aufprall war wie der Treffer eines Schlägers. Die schlaffe Gestalt des Jungen konnte durch Helen nicht immer gehalten werden. Auf der zweiten Hälfte der Treppe rutschte er ihr aus dem Griff und glitt bäuchlings auf den restlichen Stufen in die Tiefe.
Vor der Treppe blieb er liegen. Er rührte sich nicht mehr, aber Helen hörte ihn wimmern, was so etwas wie ein Hoffnungsfunke war. Allerdings war sie nicht in der Lage, sich
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