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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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zusammen, doch es war schon zu spät.
    »Im Moment ist das nur eine Wunde«, erklärte ich. »Die noch nicht mal tödlich ist.«
    Unter Schmerzen wand er sich am Boden, presste die Hände auf die Schusswunde im Bauch. Im Zwielicht wirkte das Blut fast durchsichtig. Vielleicht war das eine Illusion, vielleicht aber auch eine Besonderheit dieses Magiers.
    »Beantworte meine Frage!«
    Indem ich den Arm schwang, steckte ich das blaue Moos um ihn herum in Brand. Mir reichte es, jetzt würden wir mit der Angst, dem Schmerz, der Verzweiflung spielen. Schluss mit Barmherzigkeit, mit Nachsicht, mit Reden.
    Das ist das Dunkel.
    »Wir haben den Befehl, Mitteilung zu machen und dich nach Möglichkeit zu liquidieren.«
    »Nicht festzunehmen? Sondern zu liquidieren?«
    »Ja.«
    »Die Antwort ist akzeptiert. Das Kommunikationsmittel?«
    »Per Handy, einfach per Handy.«
    »Gib’s mir.«
    »Es ist in der Tasche.«
    »Wirf’s her.«
    Unbeholfen kramte er in der Tasche herum – die Wunde war nicht tödlich, die Widerstandskraft des Magiers noch hoch, aber er litt höllische Schmerzen.
    Wie er es verdient hatte.
    »Die Nummer?«, fragte ich, während ich das Mobiltelefon auffing.
    »Die Notfalltaste.«
    Ich schaute aufs Display.
    Den ersten Ziffern nach zu urteilen, konnte das Telefon an jedem x-beliebigen Ort stehen. Ebenfalls ein Handy sein.
    »Ist das der Einsatzstab? Wo sitzt er?«

    »Ich weiß nicht …« Er verstummte, starrte auf die Pistole.
    »Streng dein Gedächtnis ein bisschen an«, verlangte ich.
    »Man hat mir gesagt, sie könnten in fünf Minuten bereits hier sein.«
    Das war’s also!
    Ich blickte mich nach hinten um, betrachtete die am Himmel brennende Nadel. Das passte, das passte nur zu gut.
    Der Magier rührte sich.
    Nein, ich hatte ihn nicht provozieren wollen, indem ich den Blick abgewandt hatte. Aber als er aus der Tasche den Stab zog – den groben, kurzen Stab, ganz offenkundig keine Handarbeit von ihm, sondern billig eingekauft –, durchströmte mich Erleichterung.
    »Also?«, fragte ich, als er innehielt, sich nicht entscheiden konnte, die Waffe zu erheben. »Los!«
    Der Kerl schwieg, rührte sich nicht.
    Wenn er doch bloß versuchen würde, mich anzugreifen – ich würde mein Magazin in ihn hineinpfeffern. Das wäre dann schon fatal. Doch vermutlich bringt man denen bei, wie sie sich bei einem Konflikt mit den Lichten verhalten sollen. Ihm war völlig klar, dass ich ihn kaum umbringen würde, solange er unbewaffnet und völlig schutzlos dalag.
    »Wehr dich«, sagte ich. »Kämpf! Du Hundesohn, du scherst dich doch sonst nicht darum, wenn du andere Schicksale zerstörst, wenn du hilflose Wesen überfällst. Also, was ist? Los!«
    Der Magier leckte sich die Lippen – seine Zunge war lang und leicht gespalten. Mit einem Mal ging mir auf, welche Zwielicht-Gestalt er über kurz oder lang annehmen würde, und mir wurde übel.
    »Ich liefere mich deiner Gnade aus, Wächter. Ich verlange Nachsicht und einen Prozess.«
    »Ich brauchte nur weggehen, und du würdest dich mit deinen Leuten in Verbindung setzen«, sagte ich. »Oder aus den Menschen um uns herum genug Kraft ziehen, um zu erstarken und dich zu einem Telefon zu schleppen. Oder? Darüber sind wir uns doch wohl beide einig.«
    Der Dunkle lächelte. »Ich verlange Nachsicht und einen Prozess, Wächter«, wiederholte er.
    Ich fuchtelte mit der Pistole in den Händen herum, blickte in das grinsende Gesicht. Verlangen können sie immer. Geben nie.
    »Ich hatte immer Schwierigkeiten damit, unsere eigene Doppelmoral zu begreifen«, sagte ich. »Das ist schwer und unangenehm. Kommt erst mit der Zeit, und die habe ich nicht mehr. Wenn man sich eine Rechtfertigung ausdenken muss. Wenn man nicht alle verteidigen kann. Wenn du weißt, dass in der Sonderabteilung jeden Tag Lizenzen unterschrieben werden, mit denen Menschen dem Dunkel ausgeliefert werden. Das ist unschön, oder?«
    Das Lächeln stahl sich aus seinem Gesicht. »Ich verlange Nachsicht und einen Prozess, Wächter«, wiederholte er die Worte wie eine Beschwörungsformel.
    »Ich bin jetzt kein Wächter«, antwortete ich.
    Die Pistole zuckte, knallte, die Ladung rollte träge heran, die Hülsen flogen heraus. Die Kugeln schwirrten durch die Luft wie ein kleiner bissiger Hornissenschwarm.
    Er schrie nur einmal, dann zerfetzten ihm zwei Kugeln den Schädel. Als die Pistole klickte und verstummte, wechselte ich automatisch mit bedächtigen Bewegungen das Magazin.
    Der zerstückelte, verdrehte Körper lag

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