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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Aber von wem? Von einem Freund oder einem Feind, das war die entscheidende Frage. Man braucht nicht darauf zu hoffen, dass hinter der Grenze des Lebens die Unterschiede verwischt wären. Unsere Toten lassen uns in diesem Kampf nicht im Stich.
    Ich musste eine Entscheidung treffen. Aber nicht jetzt.
    Ich rannte zum Metroausgang und zog im Lauf die Pistole aus dem Achselhalfter.
    Gerade noch rechtzeitig: Der Dunkle Magier kam aus der Tür heraus und kroch unverzüglich ins Zwielicht. Es würde recht einfach werden, jetzt, wo sich mir diese Möglichkeit bot. Fremde Auren loderten auf, dunkle Funken, die in alle Richtungen flogen.
    Befände ich mich in der Menschenwelt, könnte ich beobachten, wie sich die Gesichter der Menschen verzerrten: wegen eines plötzlichen Schmerzes im Herzen oder wegen Herzschmerz, was ungleich schlimmer ist.
    Der Dunkle Magier blickte sich um, suchte meine Spur. Aus seiner Umgebung vermochte er Kräfte zu ziehen, technisch war er jedoch nicht auf der Höhe.
    »Ganz ruhig«, sagte ich und drückte dem Magier den Pistolenlauf in den Rücken. »Ganz ruhig. Du hast mich schon gefunden. Aber ob du dich darüber freuen solltest?«
    Mit der anderen Hand packte ich sein Handgelenk und verhinderte somit, dass er seine Passes machen konnte. All diese dreisten jungen Magier greifen auf die Standardzauber zurück, die am einfachsten und effektivsten sind. Allerdings nach der makellosen Arbeit von zwei Händen verlangen.
    Die Hand des Magiers wurde feucht.
    »Gehen wir«, sagte ich. »Wir wollen ein bisschen miteinander plaudern.«
    »Du, du …« Er vermochte immer noch nicht zu glauben, was ihm gerade passierte. »Du! Anton! Bist ein Gesetzloser!«
    »Schon möglich. Bringt dich das jetzt weiter?«
    Er drehte den Kopf herum – im Zwielicht hatte sich sein Gesicht verändert, hatte seine Attraktivität und Gutmütigkeit verloren. Nein, noch hatte er seine endgültige Zwielicht-Gestalt nicht angenommen, wie das bei Sebulon der Fall war. Trotzdem war das Gesicht schon nicht mehr menschlich. Ein Kiefer, der viel zu weit herunterhing, ein breites Froschmaul, schmale trübe Äuglein.
    »Was du für ein Monster bist, mein Freund.« Ich stieß ihm noch einmal die Pistole in den Rücken. »Das ist eine Pistole. Geladen mit Silberkugeln, auch wenn das nicht nötig wäre. In der Zwielicht-Welt funktioniert sie nicht schlechter als in der Menschenwelt, etwas langsamer zwar, aber das wird dich nicht retten. Im Gegenteil, du spürst genau, wie die Kugel deine Haut zerreißt, sich langsam durch die Muskelfasern frisst, die Knochen zermalmt, die Nerven zerfetzt.«
    »Das wagst du nicht!«
    »Warum nicht?«
    »Damit verbaust du dir jeden Ausweg!«
    »Ach ja? Noch habe ich also Chancen? Weißt du was? Ich kriege immer mehr Lust abzudrücken. Gehen wir, du Mistkerl!«
    Mit einem Fußtritt half ich ein wenig nach, trieb den Magier in einen engen Durchgang zwischen zwei Buden. Blaues Moos bewucherte im Übermaß die Wände und fing jetzt an zu zucken. Liebend gern würde die Zwielicht-Flora unsere Gefühle kosten: meinen Zorn, seine Angst. Gleichzeitig haben selbst diese hirnlosen Pflanzen genug Selbsterhaltungsinstinkt.
    Und der Dunkle Magier nicht minder.
    »Was willst du eigentlich von mir?«, schrie er. »Wir haben eine Aufgabe zugeteilt bekommen, sollten dich suchen! Ich habe nur meinen Befehl ausgeführt! Ich achte den Vertrag, Wächter!«
    »Ich bin kein Wächter mehr.« Mit einem Stoß knallte ich ihn an die Wand, in die zärtliche Umarmung des Mooses. Sollte es doch ruhig ein wenig von seiner Furcht aus ihm heraussaugen, sonst macht er den Mund nie auf. »Wer hat die Jagd befohlen?«
    »Die Tagwache.«
    »Wer konkret?«
    »Der Vorgesetzte, seinen Namen kenne ich nicht.«
    Das dürfte der Wahrheit ziemlich nahe kommen. Ich kannte ihn übrigens.
    »Hat man dich konkret zu dieser Station geschickt?«
    Er zögerte.
    »Sprich.« Ich richtete die Pistole auf den Bauch des Magiers.
    »Ja.«
    »Allein?«
    »Ja.«
    »Du lügst. Aber das macht nichts. Welchen Befehl hast du für den Fall, dass du mich entdeckst?«
    »Dich zu observieren.«
    »Du lügst. Und diesmal macht es was. Denk nach und beantworte die Frage noch einmal.«
    Der Magier schwieg, offenbar hatte es das blaue Moos etwas übertrieben.
    Ich feuerte einen Schuss ab, und die Kugel überwand mit fröhlichem Gesang den Meter, der uns beide voneinander trennte. Der Magier sah sie sogar – seine Augen weiteten sich, nahmen eine menschlichere Form an, er zuckte

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