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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Geschichte
 
Im eigenen Saft

Prolog
    Der Mann war klein, dunkelhäutig und hatte Schlitzaugen. Eine begehrte Beute für jeden Milizionär in Moskau. Ein schuldbewusstes, verwirrtes Lächeln. Ein naiver, ausweichender Blick. Trotz der sengenden Hitze trug er einen altmodischen dunklen Anzug, der jedoch fast neu wirkte. Die Krönung bildete eine Krawatte noch aus Sowjetzeiten. In der einen Hand hielt er eine riesige, abgeschabte Aktentasche, mit der in alten Filmen Agronomen und Vorsitzende von Vorzeigekolchosen ausgestattet werden, in der anderen ein Netz mit einer länglichen Zuckermelone.
    Der kleine Mann stieg aus dem Schlafwagen, auf seinen Lippen das unweigerliche Lächeln. Das der Zugbegleiterin galt, den Reisegefährten, einem Kofferträger, der ihn anrempelte, einem jungen Burschen, der an einem Stand Limonade und Zigaretten verkaufte. Der kleine Mann hob den Blick und sah voller Begeisterung auf das Dach des Kasaner Bahnhofs. Trottete den Bahnsteig entlang und blieb immer wieder stehen, um das Netz mit der Melone bequemer zu packen. Er konnte dreißig Jahre alt sein, aber auch fünfzig. Für einen Europäer ist das schwer auszumachen.
    Der junge Mann, der kurz darauf dem Waggon zweiter Klasse desselben Zugs Taschkent-Moskau entstieg – womöglich einer der dreckigsten und ramponiertesten Züge der Welt –, verkörperte das genaue Gegenteil. Auch er ein orientalischer Typ, am ehesten ein Usbeke. Allerdings eher nach Moskauer Art gekleidet: Shorts und ein T-Shirt, eine Sonnenbrille, am Gürtel eine lederne Tasche und ein Handy. Kein Gepäck. Nicht die Spur von Provinzialität. Er blickte sich nicht um, suchte nicht das verheißungsvolle M. Ein kurzes Nicken zum Zugbegleiter, ein leichtes Kopfschütteln, um die Taxifahrer abzuwimmeln. Ein Schritt, noch einer – und schon war er in der Masse verschwunden, von wuselnden Ankömmlingen verschluckt, das Gesicht leicht in Widerwillen und Abneigung verzogen. Im Handumdrehen ging er als organischer Teil in die Menge ein, der sich nicht mehr ausmachen ließ. Wuchs ihr als neue, gesunde und lebensfähige Zelle zu, die weder bei den als Freßzellen wirkenden Milizionären noch bei den Nachbarzellen Irritation auslöste.
    Der kleine Mann mit der Melone und der Aktentasche bahnte sich seinen Weg durch die Masse, unzählige Entschuldigungen in nicht sehr sauberem Russisch murmelnd, zog den Kopf ein und sah sich um. An einer Straßenunterführung lief er vorbei, zuckte mit dem Kopf mal in die eine, mal in die andere Richtung, steuerte dann auf eine andere Unterführung zu, blieb an einer Reklametafel stehen, an der es weniger Gedrängel gab, und zog, seine Sachen umständlich an die Brust pressend, einen zerknitterten Zettel heraus, den er sorgsam studierte. Auf dem Gesicht des Asiaten spiegelte sich nicht der Schatten eines Verdachts wider, dass man ihn verfolgen könnte.
    Was den dreien, die an der Mauer des Bahnhofsgebäudes lehnten, nur zupass kam. Eine attraktive, auffällige Frau mit roten Haaren in einem eng anliegenden Seidenkleid, ein angepunkter Typ mit verblüffend gelangweilten und alten Augen, ein älterer Mann mit langem gegelten Haar und dem Gebaren eines Schwulen.
    »Eher nicht«, sagte der Punk mit den alten Augen zweifelnd. »Glaub nicht, dass der das ist. Ist zwar schon lange her, dass ich ihn gesehen habe, und das auch nur kurz, aber …«
    »Sollen wir etwa bei Dshoru nachfragen?«, fragte die Frau lachend. »Ich seh doch, dass er es ist.«
    »Übernimmst du die Verantwortung?« Den Punk irritierte weder ihr Einwand, noch wollte er sich streiten. Sondern nur diese Frage klären.
    »Ja.« Die Frau wandte den Blick nicht von dem Asiaten. »Gehen wir. Wir schnappen ihn uns in der Unterführung.«
    Mit langsamen synchronen Schritten lösten sie sich von der Mauer. Dann trennten sie sich, die Frau ging weiter geradeaus, die beiden Männer nach links und rechts.
    Der kleine Mann faltete den Zettel zusammen und lief unsicher auf die Unterführung zu.
    Ein Moskauer oder ein häufiger Gast der Hauptstadt hätte sich über die plötzliche Menschenleere gewundert. Immerhin ist das hier der kürzeste und bequemste Weg von der Metro zum Bahnhof. Aber der kleine Mann achtete nicht darauf. Dass die Menschen hinter ihm stehen blieben, als seien sie gegen ein unsichtbares Hindernis gestoßen, und zu anderen Unterführungen gingen, bemerkte er nicht. Dass auf der anderen Seite der Unterführung im Bahnhof das Gleiche passierte, konnte er nicht sehen.
    Ihm kam ein

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