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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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deutlichen Druck.
    Ebenfalls ein Anderer.
    Etwa fünf Sekunden lang sahen wir einander an, wobei wir den Druck nach und nach verstärkten. Fähigkeiten hatte er, ordentliche Fähigkeiten, aber zu wenig Erfahrung. Irgendwann nahm ich den Widerstand etwas zurück und entzog mich seiner Sondierung, um – noch bevor der junge Mann seine Verteidigung aufbauen konnte – ihn zu scannen.
    Ein Anderer. Ein Lichter. Vierter Grad.
    Das Gesicht des Mannes verzerrte sich, als durchschössen ihn Schmerzen. Sah Geser mit dem Blick eines geschlagenen Hundes an.
    »Wenn ich euch vorstellen darf«, meinte Geser. »Anton Gorodezki, Anderer, von der Nachtwache Moskaus. Alischer Ganijew, Anderer, seit kurzem bei der Nachtwache Moskaus.«
    Der Kurier.
    Ich streckte ihm die Hand entgegen und ließ meine Verteidigung fallen.
    »Ein Lichter, zweiter Grad«, konstatierte Alischer, während er mir in die Augen sah. Sich verbeugte.
    Ich schüttelte den Kopf. »Dritter«, korrigierte ich.
    Der Mann blickte abermals zu Geser. Diesmal nicht schuldbewusst, sondern verwundert.
    »Zweiter«, bekräftigte der Chef. »Du bist in Hochform, Anton. Das freut mich sehr für dich. Setz dich, reden wir. Alischer, pass auf.«
    Ich setzte mich dem Chef gegenüber.
    »Weißt du, warum ich mich unbedingt hier mit dir treffen wollte?«, fragte der Chef. »Nimm dir von den Weintrauben, sie sind lecker.«
    »Woher soll ich das wissen? Vielleicht weil es hier die leckersten Weintrauben in Moskau gibt.«
    Geser lachte. »Bravo. Wenn es auch nicht das Wichtigste ist. Die Trauben haben wir auf dem Markt gekauft.«
    »Dann wohl, weil es hier nett ist.«
    Der Chef zuckte mit den Schultern. »Es ist nichts Besonderes. Ein kleiner Raum, wenn du durch die Tür gehst, kommst du zu einem Billardpool und zu noch ein paar anderen Tischen.«
    »Sie sind ein heimlicher Fallschirmspringer, Chef.«
    »Ich bin seit zwanzig Jahren nicht gesprungen«, gab Geser gelassen zurück. »Anton, mein Lieber, ich bin hierher gekommen, habe Kartoffeln mit Bœuf Stroganoff gegessen und zum Nachtisch Weintrauben verputzt, nur damit ich dir ein Mikromilieu zeigen kann. Eine kleine, eine winzige Gesellschaft. Jetzt entspann dich, setz dich! Alischer, ein Bier für Anton! Schau dich um, Soldat. Sieh dir die Gesichter an. Hör dir das Palaver an. Atme ihre Luft ein.«
    Ich wandte mich vom Chef ab. Rückte an den Rand der Holzbank, um wenigstens ein bisschen was von meiner Umgebung mitzubekommen. Alischer stand bereits an der Bar und wartete auf mein Bier.
    Sie hatten seltsame Gesichter, die Stammkunden der Springerbar. Etwas Unbestimmtes schienen sie alle gemeinsam zu haben. Besondere Augen oder besondere Gesten. Nein, nichts Besonderes, nur schien jeder einen unsichtbaren Stempel zu tragen.
    »Ein Kollektiv«, sagte der Chef. »Ein Mikromilieu. Ich hätte dieses Gespräch auch im Schwulenclub Chance, im Restaurant im Zentralen Haus der Literaturschaffenden oder in irgendeinem Imbiss mit Weinverkauf direkt neben einem Betrieb ansetzen können. Das spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass sich dort ein kleines, nach außen abgeschottetes Kollektiv trifft. Das sich mehr oder weniger stark von der Gesellschaft isoliert. Kein McDonald’s, kein elegantes Restaurant, sondern ein offener oder intimer Club. Weißt du, warum? Das sind wir. Es ist ein Modell unserer Wache.«
    Ich schwieg. Beobachtete, wie ein junger Mann auf Krücken an den Nachbartisch ging, auf den angebotenen Platz verzichtete und, gegen die Zwischenwand gelehnt, anfing, etwas zu erzählen. Die Musik übertönte seine Worte, aber den groben Sinn konnte ich durchs Zwielicht herausfiltern. Der Fallschirm, der sich nicht öffnete und den er abwerfen musste. Die Landung mit dem Reserveschirm. Ein Bruch. Und, was für ein Mist, ein halbes Jahr keine Sprünge!
    »Die Gesellschaft hier ist sehr charakteristisch«, fuhr der Chef ruhig fort. »Das Risiko. Die starken Eindrücke. Die Umwelt, die mit Unverständnis reagiert. Der Slang. Probleme, die normale Menschen absolut nicht verstehen. Und, nebenbei bemerkt, regelmäßige Verletzungen und Todesfälle. Gefällt es dir hier?«
    Ich dachte kurz nach, dann antwortete ich: »Nein. Hier muss man dazugehören. Oder wegbleiben.«
    »Natürlich. Bei jedem Mikromilieu ist es nur beim ersten Mal spannend hineinzugucken. Danach musst du entweder seine Gesetze übernehmen und in die kleine Gemeinschaft eingehen oder dich von ihr distanzieren. In diesem Punkt unterscheiden wir uns absolut nicht von ihnen.

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