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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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auf dem Dach des Hochhauses ihr Recht auf eine Intervention genutzt hatte. Eine kleine nur, mit der sie mir nur erlaubt hatte, die Wahrheit zu sagen. Und diese Wahrheit hat den Jungen Jegor auf die Seite des Dunkels getrieben.
    Warum funktioniert das?
    Warum handelt das Licht durch die Lüge und das Dunkel durch die Wahrheit? Warum ist unsere Wahrheit hilflos, während die Lüge sich als effektiv erweist? Und warum kann das Dunkel sich die Wahrheit so hervorragend zunutze machen, um Böses zu schaffen? An wessen Natur liegt das, an der menschlichen oder an unserer?
    »Swetlana ist eine vorzügliche Zauberin«, sagte Sebulon. »Aber ihre Zukunft liegt nicht in der Leitung der Nachtwache. Sie brauchen sie nur für ein einziges Ziel. Für die Mission, die Olga nicht erfolgreich abgeschlossen hat. Du weißt, dass heute Morgen ein Kurier aus Samarkand in Moskau aufgetaucht ist?«
    »Ich weiß«, gab ich aus irgendeinem Grund zu.
    »Ich kann dir sagen, was er gebracht hat. Das möchtest du doch wissen?«
    Ich presste die Zähne aufeinander.
    »Das willst du.« Sebulon nickte. »Der Kurier hat ein Stück Kreide gebracht.«
    Einem Dunklen darf man niemals glauben. Dennoch hatte ich nicht den Eindruck, dass er log.
    »Ein kleines Stück Kreide.« Der Dunkle Magier lächelte. »Mit dem man etwas auf eine Tafel in der Schule schreiben kann. Oder Himmel-und-Hölle auf den Asphalt malen. Oder die Queues beim Billard einreiben. Das alles geht so leicht, wie mit dem großen königlichen Siegel Nüsse zu knacken. Wenn jedoch eine Große Zauberin dieses Stück Kreide in die Hand nimmt … Und zwar unbedingt eine Große, bei einer einfachen reichen die Kräfte nicht. Und unbedingt eine Zauberin, in männlichen Händen bleibt die Kreide bloß ein einfaches Stück Kreide. Außerdem muss diese Zauberin eine Lichte sein. Für das Dunkel ist dieses Artefakt nutzlos.«
    Täuschte ich mich oder seufzte er? Ich schwieg weiter.
    »Ein kleines Stück Kreide.« Sebulon lehnte sich im Sessel nach hinten, wiegte sich vor und zurück. »Es ist schon abgenutzt, denn es lag mehr als einmal in den zarten Fingern von schönen Frauen, in deren Augen ein lichtes Feuer brannte. Sie haben es benutzt, und die Erde erbebte, Staatsgrenzen verschwanden, Imperien stiegen auf, Hirten wurden zu Propheten, Zimmerleute zu Göttern, Findelkinder als Könige anerkannt, Sergeanten schwangen sich zu Imperatoren auf, gescheiterte Seminaristen und talentlose Künstler zu Tyrannen. Ein kleiner Stummel Kreide. Mehr nicht.«
    Sebulon erhob sich. Breitete die Arme aus. »Das ist alles, mein teurer Feind, was ich sagen wollte. Den Rest kannst du dir selbst denken, natürlich nur, sofern du willst.«
    »Sebulon.« Ich öffnete die Faust und schaute auf das Amulett. »Du bist eine Ausgeburt des Dunkels.«
    »Gewiss. Aber immerhin von jenem Dunkel, das in mir war. Von jenem, das ich selbst gewählt habe.«
    »Selbst deine Wahrheit bringt das Böse mit sich.«
    »Für wen? Für die Nachtwache? Mit Sicherheit. Für die Menschen? Da gestatte mir, Widerspruch anzumelden.«
    Er ging zur Tür.
    »Sebulon«, sprach ich ihn noch einmal an. »Ich habe deine wahre Gestalt gesehen. Ich weiß, wer und was du bist.«
    Der Dunkle Magier blieb wie angewurzelt stehen. Dann drehte er sich langsam um, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht – einen Moment lang verzerrte es sich, schimmerten anstelle der Haut trübe Schuppen, verengten sich die Augen zu schmalen Schlitzen.
    Der Dunst verzog sich.
    »Ja, natürlich. Du hast es gesehen.« Sebulon hatte sein menschliches Äußeres zurückerlangt. »Und ich habe dich gesehen. Und auch du, wenn ich das bemerken darf, warst kein weißer Engel mit funkelndem Schwert. Alles hängt davon ab, von wo aus man blickt. Lebe wohl, Anton. Glaube mir, irgendwann wird es mir ein Vergnügen sein, dich zu vernichten. Aber jetzt wünsche ich dir Glück. Von ganzer Seele, die ich selbstverständlich nicht habe.«
    Die Tür fiel hinter ihm zu.
    Genau in diesem Moment, gleichsam als erwachte es plötzlich, heulte aus dem Zwielicht das Alarmzeichen auf. Die Maske des Choyong an der Wand verzog den Mund, in den Holzritzen der Augen blitzte Zorn auf, er bleckte die Zähne.
    Diese kleinen Wachposten …
    Mit zwei Handbewegungen brachte ich das Zeichen zum Schweigen, während ich auf die Maske den aufgesparten »Freeze« abfeuerte. Konnte ich den Zauber also doch noch gebrauchen.
    »Ein Stück Kreide«, sagte ich.
    Irgendetwas hatte ich darüber gehört. Allerdings vor langer

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