1 - Wächter der Nacht
Intervention!«
Den Grund für ihre Panik konnte ich verstehen. Die Sache sah miserabel für sie aus. Eine Mitarbeiterin der Tagwache saugt zu persönlichen Zwecken Leben aus den Menschen – das gäbe einen gewaltigen Skandal! Alissa würde ohne zu zögern ausgeliefert werden.
»Du bist nicht befugt, solche Kompromisse auszuhandeln. Die Leitung der Tagwache würde dein Versprechen nicht billigen.«
»Sebulon wird es bekräftigen!«
»Ja?« Der überzeugte Ton irritierte mich. War sie also tatsächlich die Geliebte Sebulons? Selbst dann blieb es merkwürdig. »Alissa, ich habe schon einmal ein Friedensabkommen mit dir geschlossen …«
»Sicher, und damals habe ich sogar vorgeschlagen, dir deine Intervention nachzusehen.«
»Und wozu hat das geführt?« Ich lächelte. »Erinnerst du dich noch daran?«
»Jetzt haben wir eine andere Situation, denn ich habe das Gesetz übertreten.« Alissa senkte den Blick. »Du hast jetzt das Recht zum Gegenschlag. Brauchst du wirklich keine Erlaubnis, Lichte Magie dritten Grades anzuwenden? Jede denkbare Lichte Magie? Du könntest zwei Dutzend Schufte remoralisieren und wieder zu rechtschaffenen Menschen machen! Auf der Stelle ein Dutzend Mörder zu Asche verbrennen! Eine Katastrophe verhindern, lokal eine Veränderung der Zeit vornehmen! Wiegt das meinen dummen Fehler nicht auf, Anton? Sieh dich doch um, niemand ist zu Schaden gekommen! Ich habe nichts anrichten können, habe gerade erst angefangen …«
»Alles, was du sagst, kann gegen dich verwandt werden.«
»Das weiß ich doch!«
In ihren Augen schimmerten Tränen. Und die dürften sogar echt gewesen sein. Unter der Oberfläche der Hexe verbarg sich immer noch das ganz normale Mädchen. Das sympathische erschrockene Mädchen, das eine Dummheit begangen hatte. War es denn ihre Schuld, dass sie den Weg des Dunkels eingeschlagen hatte?
Ich spürte, wie mein emotionaler Schild sich durchbog, und schüttelte den Kopf. »Es bringt nichts, mich unter Druck zu setzen.«
»Anton, ich bitte dich, lass uns das friedlich regeln!«
Brauchte ich das Recht auf eine Intervention dritten Grades?
Na und wie. Jeder Lichte Magier träumt von einer solchen Carte blanche! Sich wenigstens einen Augenblick lang wie ein tapferer Soldat zu fühlen und nicht wie ein lausiger Grabenkämpfer, der verzagt auf die weiße Friedensflagge blickt.
»Du hast nicht das Recht, mir solche Vorschläge zu machen«, meinte ich mit fester Stimme.
»Ich bekomme es!« Alissa schüttelte den Kopf und atmete tief ein. »Sebulon!«
Ich presste die Hand um die kleine Scheibe des Kampfamuletts und wartete.
»Sebulon, ich rufe dich!« Ihre Stimme ging in ein Jammern über. Mir fiel auf, dass sich die Schatten der Menschen um uns herum etwas schneller bewegten: Die Menschen spürten eine unverständliche Unruhe und beschleunigten den Schritt.
Konnte sie erneut den Chef der Dunklen anrufen?
Wie damals, im Restaurant Maharadscha, als Sebulon mich fast mit der »Schaab-Geißel« getötet hätte?
Aber er hatte es nicht geschafft. Hatte mich nicht erwischt.
Obwohl diese Intrige damals auf Gesers Konto ging, konnte Sebulon mir ohne weiteres den Tod der Dunklen zur Last legen.
Plante er mich also noch ein in seinem Spiel?
Oder hatte sich insgeheim, unbemerkt Geser eingemischt, der den Schlag von mir ablenkte?
Ich wusste es nicht. Wie immer reichten die Fakten nicht für eine Analyse. Man könnte sich dreiunddreißig Versionen ausdenken, und alle würden sich untereinander widersprechen.
Mir wäre es lieber gewesen, wenn Sebulon nicht antwortete. Dann würde ich Alissa aus dem Zwielicht ziehen, den Chef oder irgendeinen Fahnder rufen, das dumme Ding übergeben und am Ende des Monats eine Prämie bekommen. Aber was sollte ich mich jetzt um Prämien kümmern?
»Sebulon!« In ihrer Stimme lag ein echtes Flehen. »Sebulon!«
Sie weinte bereits, ohne es zu merken. Die Schminke unter ihren Augen verlief.
»Zwecklos«, sagte ich. »Gehen wir.«
In dem Moment öffnete sich zwei Meter vor uns das Dunkle Portal.
Zunächst packte uns Kälte, bis auf die Knochen durchdringende Kälte. Sodass wir schon die in der Menschenwelt herrschende Hitze herbeisehnten. Das Moos loderte auf, die ganze Straße stand in Flammen. Natürlich hatte Sebulon es nicht absichtlich verbrannt, aber als er das Portal geöffnet hatte, verströmte es einfach so viel Kraft, dass das Moos sie nicht mehr verarbeiten konnte.
»Sebulon«, flüsterte Alissa.
Fünf Meter von uns entfernt schoss aus
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