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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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nicht mit aller Welt.
    Kraft!
    Kraft.
    Kraft?
    Ich klaubte mir ihre Körnchen zusammen, manchmal sorgsam und vorsichtig, manchmal grob und heftig, damit meine Hand nicht zitterte, damit ich nicht die Augen vor Scham abwandte, während ich fast das Letzte sammelte.
    Vielleicht war für diesen Jungen Glück ohnehin ein seltener Gast?
    Ich wusste es nicht.
    Kraft!
    Vielleicht würde die Frau, nachdem sie dieses Lächeln eingebüßt hatte, auch die Liebe von jemandem verlieren?
    Kraft.
    Vielleicht würde dieser kräftige, ironisch lächelnde Mann morgen sterben?
    Kraft.
    Die Amulette in den Taschen würden mir nicht helfen. Es würde keinen Kampf geben. Mir würde meine »Hochform« nicht helfen, die der Chef erwähnt hatte. Sie war sowieso nicht der Rede wert. Und das Recht auf eine ungehinderte Intervention zweiten Grades, das mir Sebulon so großzügig eingeräumt hatte, war eine Falle. Daran konnte nicht der geringste Zweifel bestehen. Er hatte seine Freundin als Köder gebraucht, die Wahrscheinlichkeitslinien so zusammengeführt, dass wir uns treffen mussten, und mir mit gramverzerrtem Gesicht das tödliche Geschenk ausgehändigt. Ich kann nicht so weit in die Zukunft sehen, als dass sich mein Gutes niemals in Böses verkehren würde.
    Aber wenn du keine Waffen hast – nimm sie aus den Händen des Feindes.
    Kraft!
    Kraft.
    Kraft!
    Wenn es den dünnen Verbindungsfaden zu Geser noch gäbe, der sich zwischen einem jungen Magier und seinem Mentor spannt, müsste er längst gespürt haben, was hier vor sich ging. Müsste bemerkt haben, wie ich mich mit Energie voll pumpe, mit ungeheuerlicher Energie, die unüberlegt abgezogen wurde und für ein bislang noch unbekanntes Ziel eingesetzt werden sollte.
    Was würde er tun?
    Einen Magier aufhalten zu wollen, der diesen Weg eingeschlagen hat, ist sinnlos.
    Ich ging zu Fuß zur Ausstellung der Errungenschaften. Ich wusste, wo alles passieren würde. Es gibt keinen Zufall, wenn hohe Magier ihn lenken. Das plumpe »Haus auf Beinen«, diese aufrecht hingestellte Streichholzschachtel – dort hatte Sebulon seinen Kampf um Swetlana ausgetragen, dort hatte Geser seinen Schützling entdeckt, der Inquisition zugeführt und nebenbei Swetlana geschult.
    Das Zentrum der Kraft für die ganze Kombination.
    Zum dritten Mal.
    Ich wollte weder essen noch trinken. Trotzdem hielt ich einmal an, kaufte mir einen Becher Kaffee, trank ihn. Er schmeckte nach nichts, als sei kein Koffein darin. Die Menschen wichen mir aus, obwohl ich mich in der normalen Welt bewegte. Die Konzentration der Magie um mich herum wuchs.
    Ich konnte meine Ankunft nicht verbergen.
    Aber ich wollte mich auch gar nicht aus dem Hinterhalt anschleichen.
    Eine junge schwangere Frau setzte vorsichtig, voller Bedacht einen Fuß vor den anderen. Ich erschauerte, als ich sah, dass sie lächelte. Und hätte mich beinah abgewandt, als mir aufging, dass auch das ungeborene Kind in seiner winzigen und sicheren Welt lächelte.
    Ihre Kraft glich einer hellen rosafarbenen Pfingstrose – eine große Blume, deren kugelige Knospe sich noch nicht geöffnet hatte.
    Ich musste alles nehmen, was mir über den Weg lief.
    Ohne Zögern, ohne Mitleid.
    Irgendetwas passierte in der mich umgebenden Welt.
    Die Hitze schien noch stärker zu werden. Und zwar mit einem verzweifelten, krampfhaften Ruck.
    Gewiss nicht zufällig. Die Dunklen und die Lichten Magier hatten in den letzten Tagen immer wieder versucht, die Schwüle zu vertreiben. Irgendwas tat sich. Ich blieb stehen, hob den Kopf und sah durchs Zwielicht zum Himmel.
    Ein kaum merkliches Kreisen.
    Funken am Horizont.
    Dunst im Südosten.
    Aureolen um die Spitze des Fernsehturms in Ostankino.
    Es würde eine seltsame Nacht werden.
    Ich berührte ein vorbeilaufendes Mädchen und nahm mir ihre naive Freude: Ihr Vater war nüchtern nach Hause gekommen.
    Wie der abgebrochene Zweig einer Heckenrose, stachelig und porös.
    Verzeiht mir. Als ich zu dem »Haus auf Beinen« kam, war es fast elf Uhr abends.
    Als Letzten berührte ich einen betrunkenen Schwerarbeiter, der an der Wand eines Tordurchgangs lehnte – jenes Durchgangs, in dem ich zum ersten Mal einen Dunklen getötet hatte. Er war fast unzurechnungsfähig. Und glücklich.
    Ich nahm mir auch noch seine Kraft. Die lodernde, bespuckte Blüte eines Wegerich, ein hässliches, schmutzig braunes Stummelchen.
    Auch das ist Kraft.
    Als ich die Straße überquerte, gewahrte ich, dass ich nicht allein hier war. Ich rief meinen Schatten herbei und trat in

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