1 - Wächter der Nacht
Aufgang!«
Gehorsam legte der Vampir die Flaschen in eine Tüte mit der Aufschrift »Für die Erneuerung der russischen Kultur!«. Mit einem Seitenblick auf die Eule ging er in die Diele, wo er sich eilig die Schuhe anzog.
»Komm mal wieder vorbei«, sagte ich. »Ich bin kein Feind. Solange du die Grenze nicht überschreitest, bin ich nicht dein Feind.«
Er nickte und stürmte aus der Wohnung hinaus. Schulterzuckend schloss ich die Tür. Dann kehrte ich in die Küche zurück. Ich sah die Eule an.
»Also? Was war das?«
Die bernsteingelben Augen verrieten nichts. Ich schlug die Hände zusammen. »Kannst du mir mal verraten, wie wir so arbeiten sollen? Zusammenarbeiten? Hast du irgendeine Möglichkeit, mit mir zu kommunizieren? Ich öffne mich! Ein direktes Gespräch!«
Ich trat nicht vollständig ins Zwielicht ein, sondern schickte nur meine Gedanken dorthin. Man sollte einem Unbekannten nicht derart vertrauen, auch wenn der Chef mir wahrscheinlich keine unzuverlässige Partnerin gegeben hätte.
Doch nichts. Falls Olga die Möglichkeit hatte, sich telepathisch mit mir zu verständigen, machte sie davon zumindest keinen Gebrauch.
»Was sollen wir jetzt tun? Wir müssen diese Frau finden. Kannst du ihr Bild aufnehmen?«
Keine Antwort. Ich seufzte auf und warf dem Vogel auf gut Glück ein Stück meiner Erinnerung zu.
Die Eule breitete die Flügel aus und kam mir auf die Schulter geflogen.
»Was heißt das? Hast du das verstanden? Und lässt dich nur nicht zu einer Antwort herab? Gut, wie du meinst. Was soll ich jetzt machen?«
Die Eule schwieg sich immer noch aus.
Was ich tun musste, wusste ich allerdings sowieso. Dass es dabei nicht die geringste Aussicht auf Erfolg gab, stand auf einem anderen Blatt.
»Und wie soll ich mit dir auf der Schulter durch die Straßen marschieren?«
Ein amüsierter, ein ganz entschieden amüsierter Blick traf mich. Und dann verschwand der Vogel auf meiner Schulter ins Zwielicht.
Auch eine Antwort. Ein unsichtbarer Beobachter. Und nicht nur ein Beobachter – Kostjas Reaktion auf die Eule sprach Bände. Offenbar hatte man mir eine Partnerin gegeben, die die Kräfte des Dunkels weitaus besser kannte als die einfachen Diener des Lichts.
»Schon überzeugt«, sagte ich aufgeräumt. »Aber erst essen wir noch was, ja?«
Ich nahm mir einen Joghurt und goss mir ein Glas Orangensaft ein. Von dem, womit ich mich in der letzten Woche ernährt hatte – halb rohe Beefsteaks und Fleischsaft, der sich kaum von Blut unterschied –, wurde mir schon übel.
»Du hättest wahrscheinlich gern ein Häppchen Fleisch?«
Die Eule drehte sich weg.
»Wie du willst«, sagte ich. »Ich wette, dass du, sobald du was zu futtern willst, eine Möglichkeit findest, dich mit mir zu verständigen.«
Drei
Ich liebe es, im Zwielicht durch die Stadt zu streunen. Dabei wirst du nicht unsichtbar, denn sonst würde man dich permanent anrempeln. Die Leute gucken einfach durch dich hindurch, ohne dich zu bemerken. Doch jetzt musste ich offen arbeiten.
Der Tag ist nicht unsere Zeit. So abstrus das auch klingt, doch die Gefolgsleute des Lichts arbeiten nachts, wenn die Dunklen aktiv werden. Tagsüber bringen die Dunklen dagegen kaum etwas zustande. Vampire, Tiermenschen, die Dunklen Magier müssen am Tage das Leben ganz normaler Menschen führen.
Die meisten zumindest.
Jetzt streifte ich in der Nähe der Metrostation Tulskaja herum. Ich hatte den Rat des Chefs befolgt und zunächst die Haltestellen der Ringlinie abgearbeitet, an denen die junge Frau mit dem schwarzen Höllenstrudel ausgestiegen sein konnte. Sie musste eine Spur hinterlassen haben, die zwar schwach, aber trotzdem noch zu erkennen sein dürfte. Nun beschloss ich, mir die Nord-Süd-Strecken vorzunehmen.
Eine idiotische Station, ein idiotisches Viertel. Zwei Ausgänge, die reichlich weit voneinander entfernt liegen. Ein Markt, der pompöse Wolkenkratzer der Steuerpolizei, ein riesiges Wohnhaus. Überall gab es derart viele Dunkle Emanationen, dass die Spur des schwarzen Strudels nicht ohne weiteres zu finden sein würde.
Vor allem, wenn sie gar nicht hier aufgetaucht war.
Ich lief alles ab, um die Aura der Frau zu erschnüffeln, spähte ab und an durchs Zwielicht auf die unsichtbare Eule, die es sich auf meiner Schulter bequem gemacht hatte. Sie döste vor sich hin. Auch sie spürte nichts, und aus irgendeinem Grund war ich überzeugt davon, dass ihre Fähigkeiten bei dieser Suche die meinen übertrafen.
Einmal kontrollierten Milizionäre
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