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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Ganze wirkte so komisch, dass ich mir ohne zu zögern dreißig Gramm eingoss. Selbst bei der Geschwindigkeit und der miserablen Straße fuhr der Wagen ruhig, sodass der Kognak nicht überschwappte.
    Ich gab die Flasche zurück, nickte, holte die Kopfhörer aus der Tasche, stöpselte sie mir in die Ohren und schaltete die Mini-Disc ein. Ein uraltes Lied der Gruppe Woskressenje erklang, mein Lieblingsstück.
    Da gab es eine Stadt wie Kinderspielzeug klein, Sie kannte längst schon nicht mehr Krankheit, Invasion.
    Die Straße lief vorbei ins weite Land hinein, Ein rostiges Geschütz stand still auf der Bastion.
    Und Jahr für Jahr kein Fest und keine Arbeit schwer –
    Das ganze Städtchen schlief.
    Doch Länder sah’s im Traum mit Städten, menschenleer, Gehaun in Felsen tief. Wir kamen auf die Hauptstraße. Der Wagen raste immer schneller dahin, noch nie hatte ich mit einer derartigen Geschwindigkeit Moskau durchquert. Und nicht nur Moskau … Wenn das Wahrscheinlichkeitsfeld nicht freigemacht worden wäre, hätte ich ihn dazu gebracht, das Gas wegzunehmen – es war einfach zu beängstigend.
    Bis eines Tags Musik im kalten Stein erklang, Das Städtchen aber schlief …
    Wohin rief die Musik? Wen lockte jener Sang?
    Man weiß nicht, wer da rief … Unwillkürlich fiel mir ein, dass der Sänger Romanow selbst ein Anderer war. Nur nicht initiiert. Man war zu spät auf ihn aufmerksam geworden … Dann hatte man ihm zwar ein Angebot gemacht, doch er hatte abgelehnt.
    Auch eine Möglichkeit.
    Wie oft er diese Musik wohl in der Nacht hörte?
    Doch wer in schwüler Nacht die Fenster offen ließ –
    Die findet man nicht mehr.
    Sie zogen in ein Land, wo Leben Leben hieß, Dem Liede hinterher … »Willst du noch was?« Der Abgeordnete war die Fürsorge in Person. Was Bär und Tigerjunges ihm wohl eingeflüstert hatten? Dass ich sein bester Freund bin? Dass er für immer in meiner Schuld steht? Dass ich der außereheliche, aber heiß geliebte Sohn des Präsidenten bin?
    Wie albern das alles ist! Es gibt Hunderte von Möglichkeiten, das Vertrauen der Menschen, ihre Sympathie und Hilfsbereitschaft zu gewinnen. Das Licht hat seine eigenen Methoden, leider verfügt jedoch auch das Dunkel über eine ganze Reihe davon. Albern.
    Denn die Frage ist doch: Wozu braucht der Chef mich?

Sechs
    Ilja erwartete mich am Straßenrand. Er stand mit in die Taschen gestopften Händen da und schaute angewidert in den Himmel, von dem feiner Schnee herabrieselte.
    »Endlich«, sagte er bloß, nachdem ich mich mit einem Handschlag von dem Abgeordneten verabschiedet hatte und aus dem Wagen gestiegen war. »Dem Chef reicht die Warterei langsam.«
    »Was geht hier vor?«
    Ilja grinste. Doch keine Spur normaler Lebensfreude lag in diesem Lächeln. »Wirst du gleich sehen … Gehen wir.«
    Wir marschierten einen platt gestampften Weg entlang und wichen den Frauen aus, die voll gepackt mit Taschen vom Supermarkt kamen. Komisch, obwohl wir jetzt richtige Supermärkte haben, stapfen die Leute immer noch so wie früher davon – als ob sie gerade eine Stunde für blaue Hühnerleichen angestanden hätten.
    »Ist es weit?«, fragte ich.
    »Wenn es weit wäre, würde ich fahren.«
    »Was ist mit unserm Sexgiganten? Ist er klargekommen?«
    »Ignat hat sich Mühe gegeben«, erwiderte Ilja bloß. Aus irgendeinem Grund verspürte ich ein kurzes und rachsüchtiges Vergnügen, als ob das Scheitern des Schönlings Ignat mir von Nutzen sei. Wenn die Sache es erforderte, landete er normalerweise binnen ein, zwei Stunden nach Erhalt des Auftrags im entsprechenden Bett.
    »Der Chef hat Bereitschaft zur Evakuierung angeordnet«, meinte Ilja plötzlich.
    »Was?«
    »Volle Bereitschaft. Wenn der Strudel nicht stabilisiert werden kann, verlassen die Anderen Moskau.«
    Da er vor mir herging, konnte ich ihm nicht in die Augen sehen. Doch weshalb hätte Ilja mich anlügen sollen?
    »Und der Strudel ist nach wie vor …«, setzte ich an. Und verstummte. Ich sah es selbst.
    Vor uns drehte sich über einem trostlosen achtstöckigen Hochhaus im dunklen, schneeverhangenen Himmel langsam der schwarze Wirbelsturm.
    Man konnte ihn schon nicht mehr Strudel oder Wirbelwind nennen. Nur noch Wirbelsturm. Er wand sich nicht aus diesem Haus heraus, sondern aus dem dahinter, das wir noch nicht zu erkennen vermochten. Und in Anbetracht des Winkels dieses dunklen Kegels musste der Wirbelsturm fast aus der Erde herauswachsen.
    »Teufel …«, flüsterte ich.
    »Beschrei hier nichts!«, fuhr mir

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