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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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mich mal zum Kriegsschauplatz! Damit wir unsere Verteidigung in Stellung bringen können!«
    Kopfschüttelnd ging ich hinunter. In fünf Minuten würde Tigerjunges dem Jungen zeigen, wie sie zu ihrem Namen gekommen war.
    »Hallo«, brummte Bär, als er mir entgegenkam.
    »Hallo.« Wir gaben uns kurz die Hand. Von allen Mitarbeitern der Wache rief Bär in mir die seltsamsten und widersprüchlichsten Gefühle hervor.
    Bär war etwas größer als der Durchschnitt, kräftig und hatte einen absolut undurchdringlichen Gesichtsausdruck. Er machte nie viel Worte. Wie er seine Freizeit verbrachte, wo er wohnte – das wusste niemand, von Tigerjunges vielleicht abgesehen. Gerüchten zufolge sollte er gar kein Magier, sondern ein Tiermensch sein. Angeblich hatte er zunächst in der Tagwache gearbeitet, bis er dann im Zuge irgendeiner Mission plötzlich auf unsere Seite überwechselte. All das war natürlich blanker Unsinn, denn die Lichten verwandeln sich ebenso wenig in Dunkle, wie die Dunklen zu Lichten mutieren. Doch irgendetwas steckte in Bär, das einen unwillkürlich irritierte.
    »Das Auto wartet auf dich«, sagte der Fahnder im Laufen. »Der Fahrer ist ein Ass. Bist im Nu da.«
    Bär stotterte leicht und baute deshalb nur kurze Sätze. Er beeilte sich nicht, denn Tigerjunges hielt bereits Wache. Doch ich durfte keine Zeit vergeuden.
    »Sieht es da schlimm aus?«, fragte ich, während ich einen Zahn zulegte.
    »Kann man wohl sagen«, scholl es von oben herab.
    Mehrere Stufen auf einmal nehmend, stürzte ich aus dem Haus. Der Wagen wartete schon – und ich musste kurz innehalten, da ich mich einfach nicht satt sehen konnte an ihm. Ein eleganter BMW in dunklem Burgunderrot, das neueste Modell, mit einer lieblos auf dem Dach angeklebten Sirene. Beide Türen auf der Seite zum Haus hin standen offen, der Fahrer, unter dessen Jackett eine Pistole zu erahnen war, lehnte sich zum Wagen hinaus und rauchte hastig. Am hinteren Schlag stand ein älterer Mann von monumentaler Statur in offenem Mantel und einem sehr teuren Anzug, an dessen Revers ein Abgeordnetenzeichen funkelte.
    »Ja, wer ist er denn?«, sagte der Mann in sein Handy. »Sobald ich kann, komm ich! Was? Was für Weiber, verdammich? Hast du sie noch alle? Könnt ihr nicht einen Schritt alleine machen?«
    Als er mich aus den Augenwinkeln heraus erblickte, brach der Abgeordnete das Telefonat ab, ohne sich zu verabschieden, und kletterte in den Wagen. Der Chauffeur zog ein letztes Mal gierig an der Zigarette, warf sie dann weg und klemmte sich hinters Steuer. Der Motor heulte leise auf, und ich hatte kaum im Fond Platz genommen, als das Auto davonschoss. Vereiste Zweige kratzten über die Tür.
    »Bist du blind, oder was?«, blaffte der Abgeordnete den Fahrer an, obwohl die Schuld daran einzig und allein bei mir lag. Doch der Besitzer des Wagens brauchte sich nur mir zuzudrehen, da änderte sich sein Ton auch schon: »Du willst nach Perowo?«
    Noch nie hatte mich ein Vertreter der Macht mitnehmen dürfen. Noch dazu entweder jemand aus den höheren Rängen der Miliz oder ein Mafiapate. Vom Kopf her war mir klar, dass sie für einen Wächter mit seinen Möglichkeiten allesamt gleich waren, doch ausprobiert hatte ich dergleichen noch nie.
    »Ja, dorthin, woher die anderen kamen. Und zwar möglichst schnell …«
    »Hörst du, Wolodka«, wandte sich der Abgeordnete an den Fahrer. »Also sieh zu!«
    Wolodka gab Gas. Und zwar so energisch, dass mir ganz anders wurde und ich ins Zwielicht spähte: Ob wir mit heiler Haut ankommen?
    Ja, das würden wir. Allerdings nicht wegen des meisterlichen Könnens des Fahrers oder des Erfolgskoeffizienten, der bei mir, wie bei jedem Wächter, künstlich heraufgesetzt worden war. Vielmehr schien sich jemand das Wahrscheinlichkeitsfeld vorgenommen und alle Unfälle, Staus und neidischen Verkehrspolizisten aus dem Weg geräumt zu haben.
    In unserer Abteilung bringt dergleichen nur der Chef fertig. Aber wozu?

    »Mir ist auch bange …«, flüsterte auf meiner Schulter der unsichtbare Vogel. »Als ich mit dem Grafen …«
    Sie verstummte, als habe sie sich ertappt, allzu mitteilsam gewesen zu sein.
    Das Auto bretterte bei Rot über eine Kreuzung und wich einigen PKW sowie einem Laster aus, wobei es sich halb auf eine Seite legte. An einer Haltestelle wies jemand mit der Hand in unsere Richtung.
    »Auch ein Schlückchen?«, fragte der Abgeordnete freundlich. Er hielt mir eine kleine Flasche Remy Martin und einen Einwegbecher aus Plastik hin. Das

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