10 - Der Ölprinz
ohne daß sie einander sahen, das gleiche Ziel zu verfolgen schienen, nämlich die Stelle, an welcher der Ölprinz mit seinen Begleitern lagerte.
Diese beiden Reiter waren vielleicht drei englische Meilen von diesem Lagerplatz und nur eine voneinander entfernt und hielten einer wie der andre nach Süden zu.
Der eine war ein Weißer und ritt einen prächtigen Rapphengst mit roten Nüstern und jenem Haarwirbel in der langen Mähne, welcher bei den Indianern als sicheres Kennzeichen vorzüglicher Eigenschaften gilt. Sattel und Riemenzeug waren von feiner, indianischer Arbeit. Dieser Mann war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt, aber seine Sehnen schienen von Stahl und seine Muskeln von Eisen zu sein. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes, ernstes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, welche er bis über die Knie emporgezogen hatte, und einen breitkrempigen Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des grauen Bären steckten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel, der rundum mit Patronen gefüllt zu sein schien, staken zwei Revolver und ein Bowiemesser. An ihm hingen außer mehreren Lederbeuteln zwei Paar Schraubenhufeisen und vier fast kreisrunde, dicke Stroh- oder Schilfgeflechte, welche mit Riemen oder Schnallen versehen waren. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte trug er einen aus mehrfachen Riemen geflochtenen Lasso und um den Hals an einer starken Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren Kopf indianische Charaktere eingegraben waren. In der Rechten hielt er ein kurzläufiges Gewehr, dessen Schloß eine höchst eigentümliche Konstruktion besaß – es war ein fünfundzwanzigschüssiger Henrystutzen –, und über seinem Rücken hing ein doppelläufiger Bärentöter von allerschwerstem Kaliber, wie es heutigentags keinen mehr gibt.
Der echte Präriejäger gibt nichts auf Glanz und Sauberkeit; je mitgenommener er aussieht, desto größer die Ehre, denn desto mehr hat er mitgemacht. Er betrachtet einen jeden, der etwas auf sein Äußeres hält, mit souveräner Geringschätzung; der allergrößte Greuel aber ist ihm ein blankgeputztes Gewehr. Nach seiner Überzeugung hat kein Westläufer die nötige Zeit, sich mit solchen Nebendingen abzugeben. Nun aber sah an diesem Mann alles so sauber aus, als sei er erst gestern von St. Louis aus nach dem Westen aufgebrochen. Seine Gewehre schienen vor kaum einer Stunde aus der Hand des Büchsenmachers hervorgegangen zu sein. Seine Stiefel waren makellos eingefettet und seine Sporen ohne die geringsten Spuren von Rost. Seinem Anzug konnte keine Spur von Strapazen angesehen werden, und wahrhaftig, er hatte nicht nur sein Gesicht, sondern auch seine Hände rein gewaschen! Es war wirklich gar nicht schwer, in ihm einen Sonntagsjäger zu vermuten.
Und allerdings, dieser Westmann war sehr, sehr oft von Leuten die ihn nicht kannten und zum ersten Mal sahen, seines sauberen Äußeren wegen für einen Sonntagsjäger gehalten worden. Sobald sie aber seinen Namen hörten, sahen sie ein, welches grundfalsche Urteil sie gefällt hatten, denn er war kein andrer als Old Shatterhand, der berühmteste, verwegenste und dabei doch bedächtigste Jäger des wilden Westens, der unerschütterliche Freund der roten Nation und zugleich der unerbittlichste Feind aller Bösewichter, deren es jenseits des Mississippi eine Menge gab und noch heute gibt.
Old Shatterhand war sein Kriegsname, abgeleitet von dem englischen Wort ›shatter‹zerschmettern, niederschmettern. Er vergoß nämlich nur dann das Blut eines Feindes, wenn es unbedingt nötig war, und selbst dann tötete er nicht, sondern verwundete nur. Im Handgemenge pflegte er, dem man eine solche Körperkraft kaum ansah, den Gegner mit einem einzigen Hieb gegen die Schläfe niederzuschmettern. Daher der Name, der ihm von den weißen und roten Jägern gegeben war.
Und der andere Reiter, welcher eine englische Meile westlich von ihm ritt, war ein Indianer; das Pferd, auf welchem er saß, glich ganz genau demjenigen von Old Shatterhand.
Es gibt Menschen, welche gleich im ersten Augenblick der Begegnung, noch ehe sie gesprochen haben, einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf uns machen. Ohne daß eine solche Person sich freundlich oder feindselig verhalten hat oder verhalten konnte, weil man sie eben zum ersten Mal sieht, fühlt man sogleich und deutlich, ob man sie hassen
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