10 - Der Ölprinz
schweifen und erkundigte sich dann: „Wen meinen Sie denn?“
Da wies Frank mit dem Zeigefinger auf sich selbst und ließ mit bedeutender Wucht das eine kleine Wörtchen hören: „Mich.“
„Ah, sich selbst meinen Sie? Sie können dichten?“
„Und aber wie!“
„Unglaublich!“
„Ach was, unglooblich! Ich kann alles. Das müssen Sie doch nu endlich bald bemerken! Sagen Sie mir een Wort, so mache ich sofort zwanzig Reime droff! In höchstens zwee oder drei Schtunden dichte ich Ihnen eenen Operntext zusammen, der sich gewaschen hat. Ich beherrsche meine Muttersprache in eener so konsumierten Weise, daß die Reime nur so nach allen Seiten fliegen. Wenn Sie daran zweifeln, gebe ich Ihnen die Erloobnis, mich zu prüfen.“
„Sie zu prüfen? Das würden Sie mir übel nehmen.“
„Fällt mir gar nicht ein! Wie kann der Löwe oder der Adler dem Schperling etwas übel nehmen! Ich bin überhaupt nicht übelnehmisch, wie sich bei meinem edlen Charakterbild von selber verschteht. Also schtellen Sie mir eene Offgabe; sagen Sie mir getrost, was ich dichten soll. Es fällt mir gar nicht ein, Sie deshalb totzubeißen.“
„Nun wohl, machen wir einen Versuch. Denken Sie sich den ersten Akt meiner Oper. Der Vorhang rollt auf; man erblickt einen großen Urwald; in der Mitte desselben liegt Winnetou am Boden und bewegt sich leise fort, um einen Feind zu beschleichen. Was würden Sie ihn dabei singen lassen?“
„Singen? Gar nischt natürlich!“
„Nichts? Warum? Er muß doch etwas singen. Wenn der Vorhang aufgeht, will das Publikum doch etwas hören!“
„Da wäre dieses Publikum schöne dumm! Winnetou – eenen Feind beschleichen – und dazu singen! Sehen Sie denn nich ein, daß der Feind das hören und also ausreißen würde?“
„Ja, hier im wilden Westen. Aber wir reden doch von der Bühne. Er muß singen, unbedingt singen!“
„Na, wenn er wirklich muß, wenn es so unbedingt is, daß er seine Schtimme erschallen läßt, so mag er meinetwegen singen.“
„Aber welche Worte? Das Publikum kennt ihn noch nicht; sein Gesang muß also sagen, wer er ist.“
„Schön! Bin schon fertig. Er kriecht also an der Erde hin und singt dazu:
Ich bin der große Winnetou,
In Amerika geboren,
Habe Oogen, aber nu!
Rechts und links zwee scharfe Ohren,
Krieche auf dem Bauch im Grase,
Rieche alles mit der Nase.“
Als er diese Reime deklamiert hatte, richtete er auf den Kantor einen triumphierenden Blick, als ob er nun die höchste Anerkennung erwarte. Als der Emeritus aber schwieg, fragte er: „Na was sagen Sie dazu? Sind Sie erschtaunt oder nich?“
„Nicht“, gestand der Gefragte.
„Nich? Ich hoffe doch, daß Sie das, was Sie gehört haben, hochachtungsvoll zu schätzen wissen? Geben Sie Ihr Urteil ab!“
„Ich würde Sie kränken!“
„Nee. Es gibt keen Geschöpf unter mir, welches mich kränken könnte. Ich schwebe geistreich oben drüber!“
„Gut, so sollen Sie erfahren, daß Sie Knüttelverse gemacht haben. Daß Winnetou in Amerika geboren ist, daß er Augen hat, daß er alles mit der Nase, nicht aber mit den Ohren riecht, daß diese letzteren sich links und rechts an einem Kopf befinden, daß er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauch kriecht – das ist ja so selbstverständlich, daß man es gar nicht zu sagen und noch viel weniger zu singen braucht. Also bitte, machen Sie einen andern Reim.“
Als der Hobble dieses Urteil hörte, wurden seine Augen immer größer, seine Brauen stiegen empor; er räusperte sich, als ob er glaube, nicht richtig gehört zu haben, öffnete dann den Mund und brach los: „Was sagen Sie da? Was haben Sie geschprochen? Was für Zeug hätte ich gemacht? Knüttelversche meenen Sie?“
„Ja; so pflegt man solche Verse zu nennen, Herr Franke“, antwortete der Kantor unbefangen.
„Knüttelversche, Knüttelversche! Hat man schon jemals so was gehört! Ich, der berühmte Präriejäger, Westmann und Hobble-Frank, habe Knüttelversche gemacht! Da hört denn doch alles und verschiedenes off! Das hat mir noch keen Mensch gesagt, keen eenziger Mensch! Erscht fordern Sie mich off, zu sagen, wer Winnetou is und was er will, und als ich es dann sage, sagen Sie, es wäre überflüssig gewesen, das zu sagen! Ich aber sage Ihnen, daß Sie sich sagen mögen, daß Sie selber überflüssig sind, een ganz überflüssiger Mensch! Warum sind Sie nich mehr im Amt? Weil Sie überflüssig sind, een abgeschiedener und vorübergeschwundener Emeritikus. Ich aber befinde mich noch
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