10 - Der Ölprinz
schien diese Ansicht nicht zu haben.“
„Und doch ist er fort, um uns zu warnen?“
„Das hat er vielleicht nur vorgeschützt, um nicht das Richtige sagen zu müssen.“
Der Häuptling schien einige Augenblicke über das Gehörte nachdenken zu müssen und fragte sodann, aber mit unterdrückter Stimme, da ihn sein Scharfsinn das Richtige beinahe ahnen ließ: „Glaubt er vielleicht, daß die Nijoras nicht direkt nach unserm Lager sind?“
„Es schien fast so“, antwortete Sam ebenso leise.
„Dann könnten sie es nur auf andre abgesehen haben?“
„Ja.“
„Auf euch?“
„Ich vermute es. Gesagt hat Old Shatterhand nichts.“
„Er hat geschwiegen, weil unter meinen weißen Brüdern Leute sind, welche Angst bekommen hätten.“
„Das vermute ich.“
Wolf war auch wieder mitgekommen. Er hatte, da er auch neben dem Häuptling saß, die letzten leisen Sätze gehört und gab jetzt seine entgegengesetzte Meinung zu hören: „Was Ihr da gesagt habt, halte ich für grundfalsch. Es wird den Nijoras nicht einfallen, ihre Zeit damit zu verschwenden, daß sie euch abfassen, nachdem ihr ihnen schon vorher entkommen seid und sie sich sagen müssen, daß ihr euch in acht nehmen werdet. Das einzig Richtige, was sie tun können und auch tun werden, ist, daß sie erst uns angreifen, die wir stärker sind, als ihr seid, und erst dann, wenn sie uns besiegt haben, euch vornehmen.“
„Diese Ansicht hat ihre volle Berechtigung, wenn ich mich nicht irre“, sagte Hawkens, „aber wir befinden uns in ihrem Rücken, und es ist eine alte bewährte Regel, daß man sich stets und vor allen Dingen den Rücken freihalten soll.“
„Ich habe aber schon bereits gesagt, daß Old Shatterhand und Winnetou gar nicht wissen werden, woran sie sind. Sie befinden sich jenseits der Nijoras, die sie überholt haben, um uns zu warnen. Nun sind wir fort und da ist guter Rat für sie schwer.“
Er hatte, um seiner Ansicht mehr Nachdruck zu geben, lauter als vorher gesprochen, so daß alle seine Worte hören konnten. Daher kam es, daß Sams darauf folgende Entgegnung unwillkürlich auch vernehmbarer wurde: „Und ich wiederhole, was ich Euch bereits gesagt habe: Für Winnetou und Old Shatterhand ist niemals guter Rat schwer. Sie wissen stets, was sie zu tun haben. Ich habe noch keinen von ihnen jemals im Zweifel darüber gesehen, was im nächsten Augenblick geschehen soll.“
„Aber es gibt dennoch Augenblicke, in denen der Verstand des Klügsten nicht ausreichen will!“
„Für diese beiden nicht. Sie werden auch heute ganz genau gewußt haben, warum sie uns voranritten und warum wir hier lagern sollen.“
Da ertönte eine tiefe, männliche Stimme unter den nächsten Bäumen hervor: „Recht so, Sam Hawkens! Man soll die Ehre und den guten Namen seiner Kameraden stets Verfechten. Wir haben allerdings sehr wohl gewußt, was wir taten und warum wir es taten.“
Old Shatterhand war es, der diese Worte gesprochen hatte. Er kam jetzt herbei, schüttelte den Navajos allen, auch Wolf und der weißen Frau die Hände und sagte dann zu dem Häuptling: „Warum haben meine Brüder keine Posten ausgestellt? Es war zwar nicht zu befürchten, weil ich mit Winnetou vorangewesen bin, aber man soll diese Vorsicht nie versäumen.“
Er tat nicht im geringsten verwundert darüber, daß die Navajos sich hier anstatt in ihrem früheren Lager befanden. Und ebenso gleichgültig tat Nitsas-Ini. Er wußte, daß Old Shatterhand seinen Sohn Schi-So mitgenommen hatte. Er brachte ihn aber nicht wieder. Warum? Er hätte gern gefragt. Sein Vaterherz sehnte sich nach dem Kind; aber er durfte als Krieger und gar Häuptling sich dies nicht merken lassen.
Die weiße Squaw war, als sie Old Shatterhand sah, aufgesprungen. Sie wagte es nicht, eine Frage an ihn zu richten. Aber – wo war ihr Sohn? Mit dem Instinkt der Liebe wendete sie sich nach der Richtung, aus welcher der große Jäger gekommen war. Ihr Auge versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen; dann eilte sie mit dem lauten, jubelnden Ausruf: „Schi-So, mein Stern!“ zwischen den nächsten Bäumen hinein.
Die Anwesenden harrten still, ohne ein Wort zu sprechen. Der Häuptling saß mit unbeweglichem Angesicht da, als ob er eine steinerne Statue sei. Da, vielleicht nach zehn Minuten, hörte man leichte Schritte aus dem Dunkel kommen. Die Squaw brachte ihren Sohn an der Hand geführt. Als sie mit ihm in den Kreis des Lichtes getreten war, ließ sie diese Hand los und setzte sich ruhig wieder an ihren
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