10 - Der Ölprinz
Strauch huschend, vermieden sie jede Stelle, auf welche ein Strahl der Lagerfeuer fiel.
Als sie soweit herangekommen waren, daß sie die einzelnen Gestalten unterscheiden konnten, sagte Winnetou, natürlich leise: „Mein Bruder mag hier stehenbleiben. Ich will aus diesem Holz hinaus und das Lager auf der freien Seite umschleichen, um zu sehen, wo die Pferde sind und ob man Posten ausgestellt hat.“
Er huschte fort, und es dauerte wohl eine halbe Stunde, bis er wiederkam und meldete: „Die Pferde befinden sich jenseits des Lagers und werden uns also nicht durch ihr Schnauben verraten können. Nach der freien Ebene hinaus sind Posten ausgestellt. Das kann nur gegen die Navajos sein, und darum ist es gewiß, daß die Nijoras nicht wissen, wo diese sich befinden.“
„Mein roter Bruder hat das Lager von draußen her überblicken können. Hat er vielleicht gesehen, wo der Häuptling Mokaschi sitzt?“
„Ja. Er sitzt mit noch drei alten Kriegern an einem breiten Felsenstück.“
„Wenn wir das erreichen könnten!“
„Wir können es, wenn wir recht vorsichtig sind. Es liegt dort am Uferrand, und es können sich also keine Nijoras dahinter befinden. Ich will voran, und mein Bruder mag mir folgen!“
Das konnte nicht, wie bisher, in aufrechter Stellung geschehen, denn dies wäre nur sehr gefährlich gewesen. Sie legten sich also nieder und krochen auf dem Bauch weiter, wobei sie jeden Baum und Strauch und jede andre Pflanze, jeden Stein, der ihnen Deckung bot, mit ebenso großer Klugheit wie Geschicklichkeit benutzten.
Ihr Ziel war das Felsenstück, von welchem Winnetou gesprochen hatte. Es war lang und nicht sehr breit und hatte beinahe doppelte Mannshöhe. Da es oben mit Moos bewachsen war, hatte das lange Jahre hindurch darauf gefallene Laub festen Halt gehabt und sich, ohne vom Wind fortgeweht zu werden, in Humuserde verwandeln können. Diese lag nun in einer ziemlich dicken Schicht auf dem Stein und noch höher in den Rissen und Ritzen desselben. Darum hatten sich auf diesem Felsenstück einige Sträucher entwickeln können, welche ihre Zweige über den Rand desselben herunter neigten.
Zwischen diesem Stein und dem steil abwärtsfallenden Ufer gab es einen nur schmalen Raum, doch genügte er vollständig zum Zweck, welchen die beiden Lauscher verfolgten. Es gelang ihnen, den Stein unbemerkt zu erreichen und hinter denselben zu kommen. Der erwähnte Raum, auf welchem sie nun lagen, hatte nur Mannesbreite, so daß sie sich nun ganz hart an der Kante des Ufers befanden. Wenn diese Stelle aus lockerer Erde bestand und sich unter dem Gewicht der beiden Männer loslöste, so mußten sie in die Tiefe stürzen. Sie untersuchten daher vor allen Dingen den Boden und fanden zu ihrer Beruhigung, daß er aus hartem, festem Fels bestand. Nun richteten sie sich auf, um den Stein zu besteigen. Wenn sie dann oben lagen, hatten sie den Häuptling auf der andern Seite gerade unter sich sitzen.
Es gab eine Stelle, wo man mit den Händen fest fassen konnte. Old Shatterhand griff da fest zu, stieg auf den Rücken des Apachen und schwang sich dann hinauf. Das war ein höchst gefährliches Wagestück, da er bei dem geringsten falschen Griff oder Fehltritt in die Tiefe gestürzt wäre. Auch durfte der Aufschwung nur sehr vorsichtig und nicht zu hoch geschehen, weil Old Shatterhand sonst von den Nijoras jenseits des Steines gesehen worden wäre. Oben angelangt, legte er sich platt nieder und hielt dem Apachen den in Schlingen gelegten Lasso herunter, um ihn mit demselben hinaufzuziehen. Auch das gelang sehr gut.
Nun lagen sie oben. Aber wehe ihnen, wenn sie bemerkt wurden! In diesem Fall waren sie trotz aller ihrer Stärke, List und Geschicklichkeit verloren. Hinter sich den Abgrund und vor sich das von dreihundert Kriegern besetzte Lager, wäre ihnen in diesem Fall nichts andres übrig geblieben, als auf alle Gegenwehr zu verzichten und sich zu ergeben.
Dicht auf dem Felsblock liegend, schoben sie sich vorsichtig bis zu dem erwähnten Gesträuch vor und konnten nun, durch dasselbe blickend, das ganze Lager übersehen.
Es brannten nicht weniger als acht Feuer, an welchen sich die Nijoras soeben ihr Abendessen bereiteten. Unter ihnen, an den Felsen gelehnt, saß Mokaschi mit den drei älteren Indianern abgesondert von den gewöhnlichen Kriegern. Sie sprachen miteinander, doch nicht eifrig, sondern in abgebrochenen Sätzen, zwischen denen es längere oder kürzere Pausen gab. Wie die beiden Späher bald hörten, waren diese
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