10 - Der Ölprinz
dort. Das Rohr zieht mir das Gebüsch bis ganz nahe vor die Augen heran. Sie lagern jenseits des Gebüsches hart am Ufer des Winterwassers. Eben bringen viele ihre Pferde aus der Tränke unten am Chellyflusse.“
„Würde man sie belauschen können?“
„Jetzt nicht, aber gewiß später, wenn es dunkel geworden ist.“
„Hat mein weißer Bruder Lust, es zu tun?“
„Natürlich! Es ist immer von Vorteil, wenn man hören kann, was die Feinde sprechen.“
„So warten wir bis zur Dunkelheit und schleichen uns dann hin.“
„Ja, aber nicht hier oben, sondern unten warten wir; da ist's bequemer.“
Schon wollte er vom Baum steigen, als er ein verwundertes „Uff!“ des Apachen hörte.
„Hat mein Bruder etwas gesehen?“ erkundigte er sich.
„Ja.“
„Was?“
„Reiter.“
„Wo?“
„Drüben am andern Ufer. Es war wie eine lange Schlange von Reitern, welche sich nahe an den Bäumen hinzog. Mein Bruder mag warten, bis sie wieder erscheinen. Sie werden bald über die schmale Lichtung müssen, welche uns gegenüberliegt.“
Die beiden Lauscher hielten ihre Augen mit Spannung über den Fluß hinübergerichtet. Da kamen zunächst zwei einzelne Reiter; es waren Indianer. Sie ritten im Galopp über die Lichtung und begannen die Büsche jenseits derselben zu durchsuchen. Dann kam einer zurück und winkte; sie hatten nichts Verdächtiges gefunden.
„Mein Bruder mag sein Rohr nehmen; da wird er vielleicht die Gesichter erkennen“, meinte Winnetou.
Old Shatterhand folgte dieser Aufforderung und richtete das Fernrohr nach der Blöße. Auf den Wink des Spähers kamen seine Leute hinter dem Gebüsch hervor, eine lange, lange Reihe von Reitern, welche mit den Kriegsfarben bemalt waren; darum konnte Old Shatterhand ihre Gesichter nicht erkennen; aber dennoch wollten ihm viele der Gestalten bekannt vorkommen. Am Schluß des Zuges kamen zwei, von denen er sofort wußte, wer sie waren, nämlich Nitsas-Ini und seine weiße Squaw, deren Gesicht natürlich unbemalt war. Als sie alle hinter dem Gesträuch auf der andern Seite der Lichtung verschwunden waren, sagte der Apache: „Das müssen die Krieger der Navajos gewesen sein; etwas andres ist kaum möglich. Da es zu weit bis dort hinüber ist, konnte ich sie nicht erkennen, aber es war mir, als ob sich am Ende des Zuges eine Squaw befunden habe. Mein Bruder konnte durch sein Rohr besser sehen. Hast du jemand erkannt?“
„Ja. Nitsas-Ini und seine Squaw ritten hintendrein.“
„So sind es also die Navajos gewesen, wie ich vermutete. Sie haben jedenfalls unten an der Mündung des Flusses gelagert. Warum haben sie diesen Ort verlassen?“
„Und warum halten sie sich da drüben am rechten Ufer?“
„Ja, das ist sonderbar. Sie wissen doch, daß sie die Nijoras auf dieser Seite des Flusses zu suchen haben, da deren Gebiet auf derselben liegt.“
„Sollten sie durch irgendeine falsche Nachricht dazu veranlaßt worden sein?“
„Das ist nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich.“
„Dann müssen wir uns fragen, wer ihnen diese Nachricht gebracht hat.“
„Ein Kundschafter nicht, denn ihre Späher können ja nicht zu ihnen, weil sie gefangen sind.“
„Es gibt nur einen einzigen möglichen Fall.“
„Welchen?“
„Daß sie von dem Ölprinzen irregeleitet worden sind.“
„Richtig! Der ist jedenfalls zu ihnen, um sich und seine beiden Begleiter ausrüsten zu lassen, weil sie jetzt unbewaffnet waren.“
„Aber was können diese drei für Gründe haben, die Navajos da drüben heraufzuschicken?“
„Wir wollen uns darüber nicht die Köpfe zerbrechen. Jedenfalls werden wir diese Gründe erfahren. Steigen wir jetzt herab! Es will dunkel werden, und wir können nun bald an die Nijoras kommen.“
Sie stiegen von den Bäumen, da sie unten sicherer waren. Es konnte aus irgend einem Grunde ein Nijora an diese Stelle kommen und da mußte er sie, wenn sie oben saßen, weit eher entdecken, als wenn sie sich unten befanden und sich vor ihm verbergen konnten. Als sie nun wieder nebeneinander standen, sagte Old Shatterhand: „Unsre Freunde mögen da drüben den Weg eingeschlagen haben, aus welcher Ursache es immer sei, so können sie den Zweck, welchen sie dabei verfolgen, sehr leicht verfehlen.“
„Warum?“ fragte der Apache.
„Weil es möglich ist, daß sie von den Nijoras gesehen worden sind.“
„Uff! Das ist wahr. Diese liegen hüben am Ufer und die Navajos ritten drüben am Ufer!“
„Diese Ufer sind zwar mit Büschen und Bäumen
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