10 - Operation Rainbow
- aber trotz allem, wer von den dreien hatte wirklich langfristig Erfolg gehabt? Die Sowjetunion existierte nicht mehr, die Volksrepublik China würde sich bald den gleichen politisch-ökonomischen Zwängen beugen müssen, die den Untergang der UdSSR herbeiführten. Und in Indien herrschte noch immer wirtschaftliches Chaos, das irgendwie zum Dauerzustand geworden war. Nach diesem Muster drohten Irland mehr Gefahren von einem möglichen Sieg der IRA als von der Wirtschaftseinheit mit England. Kuba hatte wenigstens noch seine Tropensonne. Um ohne nennenswerte natürliche Ressourcen überleben zu können, brauchte Irland einen engen Verbündeten, und der naheliegendste war Großbritannien. Aber das waren Überlegungen, die bei diesem Essen keine Rolle spielten.
»Glauben Sie, er schlägt nach Guerillaart zu und verschwindet?« erkundigte sich Bill.
Dmitrij nickte. »Alles andere ergäbe keinen Sinn. Er hofft, lang genug zu leben, um das von uns angebotene Geld auch verwenden zu können. Vorausgesetzt, Sie erhöhen die Summe wie verlangt.«
»Eine Million mehr oder weniger spielt keine Rolle«, erklärte Henriksen und verbiß sich ein Grinsen.
Beide scheinen eine so große Summe banal zu finden , erkannte Popov und merkte wieder einmal zu seinem Schrecken, daß hier ein schrecklicher, monströser Plan ausgeheckt wurde - aber welcher?
»Wie möchten sie es haben? In bar?« fragte Brightling.
»Nein. Ich habe versprochen, daß es auf einem Schweizer Geheimkonto liegt. Das kann ich arrangieren.«
»Inzwischen habe ich genug Geld waschen können«, blinzelte Bill Henriksen seinem Auftraggeber zu. »Wir könnten das bis morgen arrangieren, wenn nötig.«
»Das heißt, ich müßte wieder in die Schweiz fliegen«, bemerkte Dmitrij säuerlich.
»Sind Sie die Fliegerei schon satt?«
»Ich bin schon sehr viel herumgekommen, Dr. Brightling«, seufzte Popov unverhohlen. Sollten sie ruhig sehen, wie ihm der Jetlag zu schaffen machte.
»Kann ich gut verstehen, Dmitrij«, tröstete Henriksen. »Die Australienreise war auch kein Zuckerschlecken für mich.«
»Wie war es für Sie, in Rußland aufzuwachsen?« wollte Brightling plötzlich wissen.
»Schlimmer als in Amerika, vermute ich. An den Schulen gab es mehr Gewalt. Keine echten Verbrechen«, setzte Popov hinzu, »aber Machtkämpfe unter den Jungen beispielsweise. Das Ringen um die Vorherrschaft. Die Lehrer drückten stets ein Auge zu.«
»Und wo haben Sie gelebt?«
»In Moskau. Schon mein Vater war Offizier bei der Staatssicherheit. Meine Ausbildung absolvierte ich an der Moskauer Staatlichen Universität.«
»In welchen Fächern?«
»Sprachen und Ökonomie.« Die Sprachen hatten sich besonders ausgezahlt. Letzteres war dagegen völlig sinnlos gewesen; die marxistische Theorie hatte sich wirtschaftlich nicht gerade bewährt.
»Sind Sie je aus der Stadt herausgekommen? Sie wissen schon, wie hierzulande die Pfadfinder. Ausflüge und so.«
Popov mußte grinsen und wunderte sich zugleich, worauf die Frage hinauslaufen sollte. »Eine meiner glücklichsten Erinnerungen in der Kindheit. Ich war bei den Jungen Pionieren. Im Sommer reisten wir auf ein staatliches Landgut und halfen dort einen Monat bei der Ernte. Wir lebten mit der Natur im Einklang, wie Sie in Amerika sagen.« Und dann, mit vierzehn, hatte er seine große Liebe kennengelernt, Jelena Iwanowna. Er fragte sich, wo sie jetzt wohl steckte. Für einen Moment packte ihn die Sehnsucht, wenn er an ihren Körper im Dunkeln zurückdachte, seine erste Eroberung...
Brightling bemerkte, wie sein Gegenüber geistesabwesend lächelte und verstand es so, wie er es verstehen wollte. »Das hat Ihnen gefallen, stimmt's?«
Seine abgestandenen Liebesgeschichten wollten sie bestimmt nicht hören. »O ja. Ich habe mich immer gefragt, wie es wäre, dort draußen zu leben, mit der Sonne im Rücken, das Feld zu bestellen... Mein Vater und ich wanderten weit in die Wälder hinaus, auf der Suche nach Pilzen.« Waldwanderungen waren bei den Sowjetmenschen in den sechziger Jahren ein beliebter Zeitvertreib. Anders als seine Mitbürger fuhren sie im Dienstwagen seines Vaters hinaus, aber als Junge mochte er die Wälder, fand es dort abenteuerlich und romantisch wie alle Jungen und genoß das Zusammensein mit seinem Vater.
»Gibt es eigentlich Jagdwild in den russischen Wäldern?« erkundigte sich Bill Henriksen.
»Man sieht alle möglichen Vögel, versteht sich, ab und zu auch mal einen Elch. Aber selten. Und Wölfe - die
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