10 - Operation Rainbow
Kühlsystem entladen hatten. Computermodelle und mechanische Tests hatten bewiesen, daß das Virus durch die Leitungen überallhin gelangen und mit dem Nebel verbreitet würde, unsichtbar in den angenehmen, erfrischenden Wassertröpfchen verborgen. Durch die Nase nahm man die Kapseln auf. Dann wurden sie ins Blut transportiert, wo sie sich auflösten, um Shiva freizusetzen. Das künstliche Virus würde bei Sportlern und Zuschauern in den Kreislauf eindringen, Leber und Nieren angreifen, die empfindlichsten Organe, und dort seinen langsamen Prozeß der Zellbildung beginnen. Dieser Vorgang war im Binghamton-Labor an »normalen« Versuchspersonen ausgiebig getestet worden. Danach war es nur noch eine Frage von Wochen, bis Shiva sich ausreichend vervielfacht hatte und ans Werk ging. Bis dahin hatte man Shiva durch Körperkontakt und Küsse, durch Husten oder Niesen an seine Mitmenschen verteilt. Auch das war im Binghamton-Labor erprobt worden. In etwa vier Wochen würden sich die Befallenen leicht erkrankt fühlen. Einige würden den Hausarzt aufsuchen, der sie als Grippeopfer diagnostizieren und anweisen würde, Aspirin zu nehmen, viel Flüssigkeit zu trinken und sich ins Bett zu legen. Das würden sie tun, und sich für einen Tag oder zwei besser fühlen - ein Arztbesuch besserte gewöhnlich das Befinden. Aber es ging ihnen nicht besser. Früher oder später setzten die inneren Blutungen ein, die Shiva unweigerlich mit sich brachte. Etwa fünf Wochen nach Infizierung würde irgendein Arzt bei der Untersuchung zu seinem Entsetzen feststellen, daß das gefürchtete Ebola-Virus wieder da war. Ein gewiefter Epidemiologe konnte wohl nachträglich die Olympiade von Sydney als Seuchenherd identifizieren, doch bis dahin waren Zehntausende schon gestorben. Es war eine hervorragende Chance, Shiva zu verbreiten, auf die vor Jahren schon führende Projektteilnehmer verfallen waren - noch vor dem versuchten Bakterienangriff des Iran auf Amerika, der damals scheiterte, weil das Virus nicht der richtige und die Verbreitungstechnik allzu planlos war. Dagegen war hier der Plan von geradezu künstlerischer Vollendung. Jede Nation der Welt entsandte Sportler und Schiedsrichter zu den Olympischen Spielen, und alle würden im Stadion den Tröpfchennebel genießen, hier und da stehenbleiben, tief einatmen und sich am kühlen Naß erfrischen. Dann kehrten sie heim, nach Nordamerika oder Argentinien, nach Rußland oder Ruanda, um Shiva auszusäen und eine Massenpanik zu ernten.
Dann wurde es Zeit für Phase Zwei. Horizon Corporation würde den A-Impfstoff herstellen und verbreiten, in Tausend-Liter-Tanks, und auf dem Luftweg in aller Herren Länder schicken, wo das Mediziner- und Pflegepersonal der jeweiligen Gesundheitsdienste jeden greifbaren Bürger unbesehen impfte. Phase Zwei würde vollenden, was mit einer Massenpanik begann - die das logische Ende der Phase Eins markierte. Vier oder sechs Wochen nach der Injektion würden sich die A-Empfänger erstmals unwohl fühlen. Drei Wochen von heute gerechnet, dachte Gearing, dann sechs Wochen, plus zwei, plus weitere sechs und noch zwei. Insgesamt neunzehn Wochen, nicht einmal ein halbes Jahr, nicht einmal die volle Baseballsaison würden über neunundneunzig Prozent der Weltbevölkerung noch erleben. Und der Planet war gerettet. Kein Abschlachten von Schafen durch Nervengas mehr. Keine Ausrottung ganzer Arten durch die Gedankenlosigkeit eines Zweibeiners. Das Ozonloch würde sich von selbst wieder schließen. Die Natur würde blühen und gedeihen. Und er würde all das mit eigenen Augen sehen, auskosten und annehmen können, gemeinsam mit seinen Freunden und Kollegen vom Projekt. Sie würden den Planeten retten und ihre Kinder im Respekt vor der Natur erziehen, in der Liebe, im Genuß. Und die Welt würde wieder grün und schön.
Dabei hegte er durchaus nicht ganz widerspruchslose Gefühle. Wenn er aus dem Fenster sah und die Spaziergänger in den Straßen Sydneys erblickte, bereitete es ihm Unbehagen, was mit ihnen unweigerlich geschehen würde. Doch er hatte schon größeres Elend gesehen. Die Schafe in Dugway. Die Menschenaffen und Schweine und andere Versuchstiere im Edgewood-Arsenal. Auch sie hatten Schmerzen erlitten. Auch sie hatten ein Recht, zu leben, und diese selbstverständlichen Tatsachen wurden von den Menschen ignoriert. Hierzulande kam kein Shampoo auf den Markt, wenn es nicht zuvor Laborkaninchen in die Augen gespritzt worden war, die man stocksteif in winzigen Käfigen
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