100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
wurden. Auch Deutschland hat eine reiche Senftradition und Frankreich heute vielleicht sogar einiges voraus: Seit 1726 wird in Düsseldorf der ABB-Senf hergestellt. Der Name steht für Adam Bernhard Bergrath, der mit seinem Unternehmen »Senf und Siegelack Fabrik, Spitzen und Schreibmaterialien« immerhin so erfolgreich war, dass van Gogh einen Steinguttopf mit seinem Senf in einem Stillleben verewigte: »Stilleven met flessen en aardewerk«, Stillleben mit Flaschen und Keramik heißt das Werk von 1884. In genau diesem Topf wird der ABB heute noch verkauft. Der Düsseldorfer Löwensenf wurde ursprünglich 1903 im französischen Metz fabriziert und zog nach dem Ersten Weltkrieg an den Rhein. Die Besitzerfamilie Frenzel fabrizierte 1920 den ersten Dijon-Senf auf deutschem Boden und verschrieb sich einer Devise, die viele Nahrungsmittelhersteller und Spitzenköche heute noch ehren würde: »Man nehme nur Zutaten der allerbesten Qualität, achte peinlich genau auf naturreine Zubereitung und verzichte auf alle naturfremden Zusätze.« Für Löwensenf extrascharf hat das Unternehmen ein Reinheitsgebot erlassen: Er besteht lediglich aus frisch gemahlenen, braunen Senfkörnern, Branntweinessig, Trinkwasser und ein wenig Speisesalz. Nicht im Gewürzregal fehlen sollte der bayerische süße Senf. Johann Conrad Develey erfand ihn 1854 in seiner Senfmanufaktur in der Kaufinger Straße. Zu Gelb- und Braunsenf sowie Essig mischte er karamellisierten Zucker und Gewürze und kochte die Mischung ein. Zwanzig Jahre später wurde Develey Königlich Bayerischer Hoflieferant. Im Jahr 1914 entstand im Kochtopf einer Metzgerei in der Regensburger Gesandtenstraße der »Süße Hausmachersenf« von Johanna Händlmeier. Er gilt heute als Bayerns beliebtester süßer Senf und wird selbst in Pariser Feinkosthandlungen neben den Gläsern aus Dijon verkauft. Trotz ständig steigender Senfproduktion scheint die Händlmeier-Qualität in den vergangenen fast 100 Jahren nicht gelitten zu haben.
Inzwischen setzen auch reputierte Senffabrikanten auf Produkte mit allen möglichen Kräutern und bunten Farben. Zwei davon scheinen mir geschmacklich interessant: Der violette Senf aus dem französischen Brive, aus Brassica nigra Senfkörnern und Traubenmost, wird heute noch vom Unternehmen Denoix hergestellt. Er ist mehr Würzmittel als Senf und passt bestens zu warmer Blutwurst oder kaltem Fisch. Aus der Schweiz stammt der Moutarde de Bénichon (Bénichon-Senf), der fast einer süßsauren Konfitüre gleicht. Er besteht u. a. aus gemahlenen Senfkörnern, Zucker, Zimt, Sternanis, Gewürznelken. In den Regalen der Supermärkte von heute wären die beiden Letztgenannten nur noch Exoten.
Soft shell crabs
Das ist wohl ein Leckerbissen für Küstenbewohner? Ich hab diese Tierchen noch nie auf einer Binnenland-Speisekarte gesehen – oder war ich nur unaufmerksam? Ich hab versucht, diese Krabben zu recherchieren, dabei aber nicht herausbekommen, ob das eine eigene Krabbensorte ist oder nur der Entwicklungszustand von ganz normalen Krabben, die – noch? – keinen Panzer haben, so dass das viel gerühmte »Pulen« entfällt. Krabbenpulen ist für Meeresanwohner wohl so etwas Ähnliches, wie bei uns im Gebirge früher das Spinnen von Wolle war: Da sitzt man gemütlich zusammen, trinkt was Gutes und erzählt sich was. Allerdings mit dem Unterschied, dass man das Erarbeitete dann auch noch in eine exquisite Mahlzeit verwandeln kann!
Hier pult keiner. Die soft shell crab wird im Ganzen gegessen, mit Schale – beziehungsweise ohne Schale, denn sie hat sich ja gerade gehäutet. Das erste Mal, das meine Gabel auf so eine Krabbe traf, war in einem chinesischen Restaurant in London. Der Besitzer gab sich jede erdenkliche Mühe, mir die »in Mehl gewendeten und im ganzen frittierten Krabben« mit einer Füllung aus Basilikumwurzel, einer Spur Ingwer und etlichen anderen Kräutern schmackhaft zu machen. Ich könne sie »einfach in die Hand nehmen und abbeißen, mitsamt den fünf Beinen auf jeder Seite.« Unwiderstehlich klang das nicht, doch am Ende siegte die Neugier, ich hatte buchstäblich angebissen. Mal abgesehen von der besonders gelungenen Füllung liegt der Reiz so einer soft shell crab an der knusprigen Hülle und am Kontrast der Konsistenzen mit dem warmen, weichen Krabbenfleisch.
Erst später habe ich gelernt, dass der Fang dieser Krabbe, so lange sie von diesem weichen Korsett umgeben ist, in Europa verboten ist, weil die Tiere sich gerade in der
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