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100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten

100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten

Titel: 100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Schoenberger , Joerg Zipprick
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gewendet und in Butter gebraten. Nun führte der ständige Wettlauf nach mehr Kreativität in der Küche leider auch dazu, dass dieses edle Tellertier in Wermut überbacken wurde (Sole Albert, ein Rezept aus der großen Zeit des Pariser Maxim’s) und bei Molekularköchen in Methylcellulose gewendet, das ist der Hauptbestandteil von Tapetenkleister, als »Seezungen-Tempura« angeboten wurde. Besonders Letzteres ist eine widerliche Untat, für die gewisse Herdmeister einen Generalboykott und weltweites Desinteresse verdient hätten.
    Ebenso schlimm ist die Praxis mancher Großhändler, Seezunge eher als Gattungsbezeichnung zu sehen. Dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen der echten Solea solea und der aromenärmeren und auch billigeren Tropen-Seezunge Cynoglossus senegalensis. Oder es gibt »American sole« aus der Familie der Achiridae.
    Restaurantbesucher sind auch noch anderen Neppversuchen ausgesetzt: Aufgrund ähnlicher Körperform werden ihnen zuweilen preiswerte Klieschen (Limanda limanda) als Seezungevorgesetzt, natürlich als Filets. Sollten Sie tatsächlich nach der Geschichte um den Tapetenkleister immer noch dem Glauben anhängen, dass unsere Wirte und Feinkosthändler im Interesse der Gäste stets das Beste auswählen, müssten Ihnen diese Fakten zu denken geben.

Senf
    Man muss tatsächlich nicht zu allem Senf dazugeben, aber zumindest in der Küche ist diese wunderbare Paste für vieles unverzichtbar. Man stelle sich nur die bayrische Weißwurst ohne den berühmten süßen Senf vor. Die legendären Wiener Würstelbuden könnten eher auf Semmeln und die Salzstangen verzichten als auf Senf: Sie wären samt ihren Frankfurtern, Debrezinern und Käsekrainern zum Untergang verurteilt. Auch manche Salatsauce würde ohne Senf zur Bedeutungslosigkeit herabsinken. Der badische Kartoffelsalat zum Beispiel – ohne die richtige Dosis Senf zur Zwiebelbrühe wäre er seines Charmes beraubt. Die von unseren Speiseplänen nicht wegzudenkende Rindsroulade – der deutschen Hausfrau liebstes Kind – könnte man ohne den Senfbestrich ebenfalls vergessen. Und die Essiggurke – ob vom Spreewald oder sonst woher – braucht das Senfkorn in der Marinade ebenfalls dringend.
    Trotzdem glaube ich, dass wir dem Senf, ebenso wie dem Essig, nicht genug Aufmerksamkeit schenken. Wir alle greifen aus Gewohnheit immer zu denselben Tuben oder Gläsern. Ich vermute, dass es da draußen, außerhalb unserer Grenzen, ganze Senf-Universen gibt, um die man sich dringend kümmern sollte, stimmt’s?
    Senf gibt es zunächst einmal als Körner, Puder oder, so wie wir ihn alle kennen, im Glas. Solch handelsüblicher Senf ist eine Mischung aus Senfkörnern, Essig, Kräutern und Gewürzen. Seine gelbe Farbe stammt oft nicht von Senfkörnern – die sind nämlich schwarz, braun oder weiß – sondern wird durch Zugabe von Kurkuma erzeugt.
    Angeblich stammt der beste Senf ja aus dem französischen Dijon. Ich halte das für eine Legende, die quer durch die Kochliteratur immer wieder blind abgeschrieben wurde. Sicher, es gab schon 1443 in Dijon eine Gebrauchsanleitung für »Senf von gutem Korn, eingetaucht in guten Essig«. Und 1634 wurden dort gar Statuten »Für die Berufe der Essig- und Senffabrikanten der Stadt Dijon« erlassen. Letztere sahen z. B. eine Kontrolle des Arbeitsmaterial und des Essigs sowie der Kompetenz der Mitarbeiter vor. Alles Pluspunkte für Dijon. Freilich wurde das ursprüngliche Rezept im Laufe der Zeit verwässert bzw. »veressigt«: Ursprünglich wurden die gemahlenen Körner mit Most verrührt, dann mit Verjus, dem Saft grüner Trauben, der im 19. Jahrhundert durch eine Mischung aus Essig, Wasser und Salz abgelöst wurde.
    Allerdings gibt es in Dijon seit 2009 keinen Senffabrikanten mehr. Der ursprüngliche Senf der Stadt kommt heute aus dem nahen Beaune von der Moutarderie Fallot, wo die Senfkörner von Pflanzen der Gattung Brassica Juncea Czem et Cosson noch zwischen steinernen Mühlsteinen zermahlen werden. Gelegentlich steht diese Senffabrik von 1840 zur Besichtigung offen.
    Nun muss auch nicht alles Essbare aus Frankreich kommen: Von dort stammte sogar der schlechteste Senf, den ich in meinem Leben probieren musste: Er schmeckte, als hätte jemand einfach Essig um ganze Senfkörner gegossen. Fallot-Senf hingegen hat dezente Schärfe, wird aber keinen Wurstesser zu Luftsprüngen verführen.
    Außerdem ist Senf ein Lebensmittel, das nicht deshalb besser wird, weil seine Körner in der kleinsten Mühle zermahlen

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