100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
schlechtes Gewissen – in einem der edlen Fresstempel, die sich ein Mensch mit normalem Gehalt schon damals in den Achtziger Jahren nicht leisten konnte. Man war also auf die Einladung von Leuten angewiesen, die sich so viel Sündiges gönnten. Das Schwärmen über diese herrliche Geschmacksexplosion am ansonsten an eher Bodenständiges gewöhnten Gaumen haben sich die meisten Menschen, denen solches Glück vergönnt war, aber schnell verkniffen. Ich auch. Die Beschimpfungen, mit dem Verzehr von solch einer widernatürlich zustande gekommenen »Lebensmittelperversion« der Tierquälerei Vorschub zu leisten, waren enorm und sehr nachdrücklich. Auch der Einwand, dass schon die alten Römer davon wussten, so hatte ich irgendwo gelesen, es sich also um keine neuzeitliche Dekadenz handelt, sondern um traditionelle Esskultur, half natürlich gar nichts. Foie gras-Gerichte auf Speisekarten überblättere ich deshalb noch heute. Wenn auch mit großem Bedauern. Nein, das ist untertrieben: mit sehr großem Bedauern. Aber irgendwie habe ich den Verdacht, dass ich einem Gerücht aufgesessen bin. Ein guter Geflügelzüchter quält seine Tiere doch nicht, oder?
Den Stopfleber-Streit werden wir beide nicht schlichten können. Für die einen ist die Fabrikation von Foie gras Tierquälerei in Reinform, für die anderen bleibt das Produkt ein Hochgenuss. Schauen wir uns doch zuerst einfach mal an, was Foie gras überhaupt ist: Für unsere französischen Nachbarn ist sie das klassische Festtagsessen und besonders zur Zeit des Réveillon an Weihnachten und Neujahr nicht vom Tisch wegzudenken. Das Haupterzeugungsgebiet liegt heute zwischen Eymet und Dax, historisch gesehen kommt Foie gras aber von sehr weit her: Genauer gesagt aus dem Tal des Nils, wo alte ägyptische Fresken das Stopfen von Gänsen zeigen. Die alten Römer fütterten ihr Geflügel dann mit getrockneten und gemahlenen Feigen. Heute bevorzugt man Mais, der einst mit den Spaniern aus Südamerika kam und in der Region gut gedeiht. Gänse werden dreimal täglich gestopft, Enten nur zweimal.
Auf alten Bildern kann man immer noch die Bauersfrau im blauen Kittel bewundern, die, mit der Gans zwischen den Knien auf einem niedrigen Hocker sitzend, eine Art Trichter in den Gänseschlund einführt, mit einem Holzstück den Maisbrei hineinstopft und anschließend mit einer »Halsmassage« das Futter besser rutschen lässt.
So wurde früher, bis in die 1930er Jahre, von Hand gestopft. Heute ist die Foie-gras-Industrie hochprofitabel: Allein der Marktführer macht fast eine halbe Milliarde Euro Umsatz mit seinen Geflügelprodukten. Im Rahmen der Profitmaximierung muss das Geflügel möglichst schnell möglichst viel Gewicht zulegen und soll dabei so wenig Arbeit wie möglich verursachen. Gestopft wird maschinell, die Gänse oder Enten hocken dabei in winzigen Käfigen, bekommen einen Schlauch in den Hals gezwungen und werden mit Futter buchstäblich vollgepumpt. Wer das einmal gesehen hat, kann diese Produktionsmethoden nur als Tierquälerei bezeichnen. Problematisch scheint mir auch die offizielle Position des Herstellerverbandes COFIG, der die absolute Harmlosigkeit des Stopfprozesses betont. Mal lässt die COFIG das Stresshormon Corticosteron in den Vögeln messen, um nachzuweisen, dass die Tiere dieses Stopfen gewissermaßen gelassen hinnehmen. Und INRA, ein nationales Institut, das sich mit agronomischer Forschung beschäftigt, veröffentlichte ein Gutachten, in dem es heißt, kein Indikator ließe darauf schließen, dass diese Operation, das Stopfen, Tierquälerei darstelle. Als zentrales Argument bringen die Wissenschaftler vor, dass Fettlebern sich bei Vögeln auf Normalmaß zurückbilden können. Ein Tier könnte sich also gewissermaßen selbst heilen, wenn, ja wenn es denn Gelegenheit dazu bekäme. Das klingt, höflich ausgedrückt, sehr zynisch. Tierschützer behaupten zudem, hierbei handele es sich um gekaufte Gutachten.
Leider wird gerade diese maschinell gestopfte Leber aus Industrieproduktion massenhaft nach Deutschland exportiert. Wenn Sie die kosten möchten, sollten Sie unbedingt das Etikett lesen. Da stellt sich nämlich zunächst die Frage, ob auch wirklich viel Geflügel in den vermeintlichen Geflügelprodukten ist. Gelegentlich helfen Hersteller mit Schweinefett nach, vermischen sogar Schweineleber mit Foie gras. Vereinzelt mussten sich die Gerichte auch bei renommierten Herstellern schon mit solchen Praktiken beschäftigen. Ist die Leber als »d’Oie«
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