100 Prozent Anders
ich eine Uhr für 200 000 US-Dollar – und ganz sicher keine Brillant-Uhr. Weder gab es den gepanzerten Jeep noch das Sommerfest und schon gar nicht Champagner und Kaviar für die 4 868 520 Einwohner von St. Petersburg …
Mein Fazit dieser Geschichte, die in einer russischen Zeitung stand, lautet: Hat die Presse keine Geschichte, dann erfindet man sich eben eine Story. Oder: Das sogenannte mediale „Sommerloch“ gibt es auch in Russland.
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Im November 2004 trat Dieter Bohlen in Russland auf. Er wollte wohl das bevorstehende 25-jährige Jubiläum von Modern Talking nutzen und noch einmal richtig viel Kohle mit unseren Songs herausschlagen. Ich musste grinsen, als ich das hörte. Kam er sich denn nicht blöd dabei vor, wenn er mit seiner Gitarre auf der Bühne stand und bei Playback unsere Lieder mitsang? Er singt auf der Bühne auch nur die hohen Chöre mit, da er meine Stimme ja schlecht imitieren kann. Ich wiederum singe immer live bei Konzerten. Ich habe auch immer meine feste Band und eigene Techniker dabei, falls etwas schiefläuft.
Der Zufall wollte es, dass ich zur selben Zeit in Moskau war und mehrere Konzerte gab. Wir wohnten aber nicht im selben Hotel. Ich war im „Baltschug Kempinski“ abgestiegen und Dieter in einem anderen Hotel. Hinter der Bühne erzählte mir ein russischer Journalist, dass sein TV-Sender im Dezember ein einstündiges Special über Modern Talking plane. Sie fragten Dieter, wann er Zeit für Aufnahmen hätte. Seine Antwort: „Am 24. Dezember.“ Die TV-Leute wunderten sich, dass er das Interview ausgerechnet an Weihnachten geben wollte. Ihnen war es aber egal, da das russisch-orthodoxe Weihnachtsfest erst am 7. Januar begangen wird. Dieter blieb bei dem Termin. Er meinte, Weihnachten sei ihm piepegal. Er sei ohnehin allein, würde ein Glas Champagner trinken und früh zu Bett gehen. Da könne er genausogut in Hamburg ein Interview geben. Im diesem Moment wurde mir wieder einmal bewusst, wie bedauernswert dieser Mensch im Grunde doch war. Er hatte fünf Kinder von drei Frauen und anscheinend hatte keines der Kinder Lust, den Heiligen Abend mit dem Papa zu verbringen. Das lässt verstehen, weshalb Dieter nichts so wichtig ist auf der Welt wie Geld – Geld enttäusche ihn nicht, hat er schon früher immer gesagt. Das Geld liegt auf seinem Konto, gibt ihm vermeintlich Macht und Wichtigkeit. Aber leider überhaupt keine Lebensqualität.
An jenem Wochenende im November 2009 drehte ich in Moskau zwei Musik-Videos. Einmal zu dem Song „Why Do You Cry“ und zu „Stay with Me“. In den vorangegangenen Monaten hatte ich in der russischen Hauptstadt ein komplettes Album aufgenommen. Mein russischer Tourbegleiter Ray hatte mich mit dem jungen Produzenten Sergey Revtov bekanntgemacht, der mit mir arbeiten wollte. Er schrieb zwei Songs für mich, die ich im August 2009 in seinem Studio in Moskau aufnahm. Es war toll! Es machte unglaublich viel Spaß, tolle Songs von einem klasse Songwriter und Produzenten zu singen. Wenn auch die Arbeitsweise etwas kompliziert war. Sergey sprach kein Wort Englisch und ich kein Wort Russisch. Wie also miteinander kommunizieren? Es gab aber noch einen Dritten im Bunde. David! David war ein Amerikaner, der in Moskau lebte und die meisten Texte des anstehenden Thomas-Anders-Albums schrieb. So spielten sich immer wieder folgende Szenen ab: Sergey sagte etwas auf Russisch und sah mich, hinter seinem Mischpult sitzend, durch die Glasscheibe an. Ich stand im Aufnahmeraum. David fragte dann bei Sergey nach, weil er kein Wort verstanden hatte. Sergey wiederholte also alles auf Russisch. David drehte sich zu mir um und übersetzte ins Englische. Das Ganze mit einem hilflosen Gesichtsausdruck …
Man muss es sich in etwa so vorstellen: „Sergey meint, du solltest die Synkopen-Betonung auf NIGHT ausarbeiten und der Stimme Leichtigkeit geben. Sorry, Thomas, aber ich habe keine Ahnung, was ich hier übersetze“, sagte David. Ich musste natürlich lachen, weil ich genau wusste, was Sergey meinte. Nur David tat mir leid. Er übersetzte permanent etwas, das für ihn keinen Sinn machte. Frei nach dem Motto: Lass mal einen Blinden erklären, wie die Farbe „gelb“ aussieht!
Im November war das Album „Strong“ fertig, und wir waren alle stolz darauf.
Die erste Single hieß „Why Do You Cry“, und an besagtem November-Wochenende wurde also das Video dazu gedreht. Es war ein klassisches Video, in einer Diskothek gedreht, dem hipsten Club Moskaus übrigens, mit
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