100 Prozent Anders
keine Abzocke war. Ich erinnere mich, dass wir pro Person umgerechnet etwa 8 Euro bezahlten. Also eigentlich ganz moderat.
Zwei Stunden später saßen wir in einem Raum, der sich nach und nach mit Menschen füllte. Am Ende waren wir tatsächlich etwa 25 Personen, die mit Spannung auf das Medium warteten. Wir waren alle wahnsinnig nervös. Selbst ich. Um die Nervosität und die Unsicherheit zu überspielen, flüsterte und murmelte man mit seinem Nachbarn oder kicherte auch mal zwischendurch.
Plötzlich ging die Tür auf, und eine alte Frau wurde hereingeführt. Ich schätzte sie auf weit über 80 Jahre und war nun sehr gespannt, was da wohl auf uns zukommen würde. Nora und ich saßen in der ersten Reihe. Vor uns war ein etwa vier Mal vier Meter großes Podest aufgebaut. Die Betreuerin der Dame half ihr hinauf und setzte sie auf einen dort bereitgestellten Stuhl. Die alte Dame konzentrierte sich und begann zu sprechen. Sie zeigte auf einen Gast und erzählte ihm irgendetwas. Da wir den Herrn nicht kannten, wusste natürlich keiner von uns, ob es sich um eine wahre Nachricht handelte.
Das Medium forderte einige von uns Anwesenden dazu auf, sich vor das Podest zu stellen, damit „es“ besser mit uns sprechen konnte. Ich dachte mir nur: Was für eine Scheiße. Die alte Frau kann uns doch alles erzählen. Wir wissen doch voneinander rein gar nichts. Und selbst wenn sich manche die eine oder andere Träne aus den Augen wischten, konnte das Teil einer super Inszenierung sein. Ich war schon bedient.
Plötzlich zeigte die alte Dame auf Nora und bat sie, von ihrem Stuhl aufzustehen. „So“, ich grinste, „jetzt wird’s spannend.“
Das Medium erzählte Nora, dass sie auf der Suche nach einer Verstorbenen sei und sie diese Person vor sich sehe. „Es ist eine Frau“, sagte das Medium. „Ich sehe ihr Gesicht nicht. Aber ich soll Ihnen mitteilen, dass es ihr sehr gut geht und dass sie sich sehr wohl fühlt. Ich sehe die Dame nur von hinten. Als Beweis, dass es sich um Ihre Verstorbene handelt, zeigt sie mir in der einen Hand einen Strauß mit Maiglöckchen und in der anderen Hand einen Parfümflakon. Mehr kann ich Ihnen nicht mitteilen.“
Nora setzte sich und fing an zu weinen. Der Lieblingsduft ihrer Mutter war „Diorissimo“ von Christian Dior, ein klassisches Maiglöckchenparfüm!
Ich war platt! Damit hatte ich nicht gerechnet. Nie im Leben konnte die alte Dame, die irgendwo aus der Londoner Vorstadt kam, das mit dem Parfüm wissen. Woher auch? Ich musste meine Gedanken sortieren und versuchte mit aller Kraft, eine logische Erklärung für das zu finden, was da auf der Bühne passiert war. Ich habe sie bis heute nicht gefunden.
Auch am nächsten Tag wurde ich überrascht. Wir hatten eine private Sitzung bei dem Medium gebucht. Die Dame begrüßte uns. Man sagte uns im Vorfeld, dass wir eine Kassette mitbringen sollten, da das „Reading“, so nannte man die Sitzung, aufgenommen werde, damit man sich zu Hause immer wieder die Worte anhören könne. Ich war zwar vollkommen beeindruckt vom Abend vorher, versuchte dem ganzen Zauber hier aber immer noch skeptisch gegenüberzustehen.
Das Medium erzählte uns, dass jeder Mensch sogenannte Schutzengel um sich habe. Sie sind immer da und begleiten uns auf unserem Weg durchs Leben. Neugierig fragte ich nach meinem Schutzengel. Die Frau erzählte mir, dass ich beispielsweise einen farbigen US-Amerikaner um mich herum habe, der fortwährend singe und um mich herumtanze. Ebenso einen alten Asiaten aus der Zeit der berühmten Seidenstraße. Er lenke mich im Hinblick auf meine kaufmännischen Tätigkeiten und sei von Kopf bis Fuß in smaragdgrüne Wildseide gekleidet. Ich muss an dieser Stelle einfügen, dass ich smaragdgrüne Wildseide liebe. Wie konnte diese alte Frau das bloß wissen? Von mir nicht. Und von Nora auch nicht.
Wir wollten mehr hören, also buchten wir uns für den nächsten Tag wieder eine Privatsitzung bei dem Medium. Die Einzelsitzungen kosteten umgerechnet etwa 25 Euro, also auch kein Vermögen.
Am nächsten Tag beschrieb mir das Medium folgende Szene: Sie sah eine Weltkugel, die sich drehte. Um diese sich drehende Weltkugel war ein Band gewickelt, auf dem mein Name stand. Und um die Weltkugel flog in einem Kriegsflugzeug angeblich mein Opa, der andauernd lachte. In seiner einen Hand hielt er den Steuerknüppel des Fliegers, in der anderen Hand einen Sack mit Geldstücken. Hinter dem Flugzeug bildeten sich im Wind Noten. „Haben Sie etwas mit Musik
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