1.000 Euro für jeden
befristete, wechselnde Projektarbeit im Vordergrund steht. Diese Arbeitsformist schon heute nicht mehr vornehmlich auf die künstlerischen Tätigkeiten beschränkt. Die Gesellschaft ist aber auf diese offenen, unabgesicherten Formen der Arbeit noch nicht vorbereitet. Wir werden Wege für gestückelte Existenzsicherungen finden müssen, hin zu Mischformen von Erwerbsarbeit und neuen Tätigkeitsformen.
Eine solche Mischform hat etwa Claudia Möller gefunden, die als Gewerbetreibende Touristen mit der Rikscha durch Berlin kutschiert, als Selbständige beim Deutschen Gewerkschaftsbund gegen Honorar Bildungsseminare gibt und als Leiharbeiterin auf Großveranstaltungen kellnert. Das Erste macht sie aus Spaß, das Zweite findet sie sinnvoll, das Dritte tut sie wegen des Geldes. In einem Deutschlandradio-Feature zum Thema Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse 2006 begründet sie ihre berufliche Mehrgleisigkeit: »Es ist Lust auf Vielfalt und auf Freiheit und es ist sicher auch aus der Not geboren.«
Tatsächlich geht es nur selten allein um die Sicherung des eigenen Überlebens, wenn wir arbeiten. Am deutlichsten ist das bei den Künsten, den kreativen Berufen allgemein, aber auch beim Sport. Im Frühjahr 2010 plakatierte die Deutsche Sporthilfe großflächige Stellenanzeigen, in denen sie fiktiv nach BewerberInnen suchte (hier verkürzt wiedergegeben):
»Wir suchen schnellstmöglich eine/n Schwimmer/in 200m Schmetterling. Ihre Aufgaben: Idealerweise vertreten Sie Deutschland bei internationalen Wettbewerben (Olympische Spiel, Welt- und Europameisterschaften) und platzieren sich auf Platz 1 bis 3. Ein bis zu dreimaliges Training täglich mit Wochenumfängen von achtzig Kilometern im Becken (= 1600 Bahnen) ist für Sie obligatorisch. Anschließende Kraft- und Beweglichkeitsübungen (mind. zehn Wochenstunden) sehenSie als zusätzliche Motivation. Ihr Profil: Sie können sich auch bei einer 60-Stunden-Woche mit einem verfügbaren Einkommen von ca. 600 Euro im Monat ausreichend motivieren, da Sie Ihre Aufgabe als Berufung ansehen. Um für die Zukunft abgesichert zu sein, verfolgen Sie Ihre berufliche Ausbildung in den Regenerationszeiten eigenständig und gewissenhaft.«
Um Aufmerksamkeit zu wecken, wurde hier natürlich überzeichnet. Das Missverhältnis zwischen leidenschaftlichem Tun und Bezahlung kennen jedoch viele, deren Arbeit mit hoher Eigenmotivation betrieben wird – und dem Quäntchen Hoffnung, eines Tages ganz oben in der Liga der Theater, Biennalen, Festivals oder des Sports zu spielen. Im Vergleich zur Masse der Sportler kassieren nur wenige Spitzenathleten Millionengagen. Es muss kaum erwähnt werden, dass Sportler überproportional mehr verdienen als Sportlerinnen. Und von denen, die auf Förderung angewiesen sind, kommen auch nur 3800 pro Jahr in den Genuss einer Förderung durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe – sie teilen sich die Jahresausschüttung von zehn bis zwölf Millionen Euro, im Schnitt 3333 Euro pro Jahr und Kopf.
Die Künstlersozialkasse (KSK) gibt in ihren letzten Statistiken das Durchschnittsjahreseinkommen aller bei ihr versicherten Künstler mit 14999 Euro an, das der Künstlerinnen mit 11355 Euro. Reicher wird hier keiner. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen von ArbeitnehmerInnen lag 2009 bei 27648 Euro brutto. Der Verdienst von Künstlerinnen oder freien Journalisten und Lektorinnen reicht daher oft nicht für Kranken- oder gar Rentenbeiträge aus. Die Autoren Jörn Morisse und Rasmus Engler haben für ihr Buch »Wovon lebst du eigentlich?« zwanzig Kreative über ihre Strategienbefragt, sich jenseits von Festanstellung und Hartz IV über Wasser zu halten. Es sind Nebenjobs in Callcentern, Aushilfstätigkeiten in der Kneipe oder Taxi fahren, die die künstlerische Tätigkeit erst ermöglichen.
»Ich kann mit Armut ganz gut umgehen«, sagt die Schriftstellerin Almut Klotz, und genauso gelassen geben sich die Musiker der Gruppe »Sport«: »Wir waren schon immer Prekariat.« Der Autor Rasmus Engler fasst die Haltung der Kreativen lakonisch zusammen: »Dass es Leute gibt, deren Gehalt unter dem Existenzminimum liegt und die dennoch viel arbeiten und andererseits keinen Grund sehen, ihre Situation zugunsten des Einkommens zu verändern, können sich selbständige Anwältinnen mit zwei Kindern und auch Volljuristen, denen die Studenten besonders am Herzen liegen, wohl kaum vorstellen.«
Hartz IV hat die im deutschen Kultursektor übliche Mischung aus Projektbeschäftigung
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