1.000 Euro für jeden
angestammten Plätze mehr vergibt, weil sich Leben und Arbeit derzeit radikal verändern, mithin auch alle Gewissheiten – und charakterisiert diese Phase umfassender gesellschaftlicher Veränderungen als eine Zeit des »Nicht mehr und noch nicht«. Der Sozialstaat, wie wir ihn noch kennen, ist längst an seine Grenzen gestoßen und trägt nicht mehr über die neuen Ungewissheiten der Gegenwart. Aber noch sind die Umrisse einer kulturell definierten Gesellschaft nicht genug ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Noch halten wir aus Angst vor der ungewissen Zukunft an der bekannten Vergangenheit und ihren Lösungsansätzen fest, obwohl zugespitzt gilt, was schon Albert Einstein feststellte: Wir können nicht die Probleme mit demselben Denken lösen, das sie hervorgebracht hat. Dennoch, stellt Goehler fest, bewegt sich eine Menge, vor allem im kulturellen Feld, dem sie selbst zuzurechnen ist, als Beobachterin und Autorin. Dort drückt sich die postindustrielle Realität am stärksten aus, werden neue Modelle von Leben und Arbeit gefunden und aus Not erfunden, die eine zunehmende gesellschaftliche Relevanz haben, dort treten aber auch die Fragen danach, wie wir eigentlich leben wollen, offener zutage. Und obwohl die wirtschaftliche Bedeutung des kulturellen Sektors erheblich zunimmt, ist die Hälfte aller Arbeitsplätze darin so schlecht bezahlt, dass sie von der »Avantgarde der prekären Verhältnisse« spricht.
Diese Beobachtung machte Adrienne Goehler als Präsidentin der Hamburger Hochschule für bildende Künste, als Mitglied diverser nationaler und internationaler Kunstgremien und Jurys, als Berliner Senatorin für Wissenschaft, Forschung undKultur und auch als Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds. Sie brachte sie zu der Frage: Ist es vorstellbar, dass eine Gesellschaft, deren Leitidee das Kulturelle ist und die den Sozialstaat weiter und anders denkt, sich auf eine ökonomische Grundsicherung, ein Grundeinkommen für alle verständigt, ein »Bürgergeld«, »allocation universelle«, »renda basica«, »reddito di cittadinanza«, »basisinkomen«, »borgerløn«? Ausgehend von der Überlegung, dass eine Gesellschaft in solch einem dramatischen Umbruch es sich nicht leisten kann, auf die Talente so vieler Menschen zu verzichten, indem sie diese auf ihren Marktwert reduziert.
Den anderen von uns beiden, Götz Werner, hatte die unternehmerische Praxis schon vor längerer Zeit zum Thema Grundeinkommen geführt – genauer seine Empörung über das komplizierte und ungerechte Steuersystem. In seinem ebenfalls 2006 erschienenen Buch Einkommen für alle erklärte er, wie das öffentliche Steuerwesen als ein bürgerliches Gestaltungsinstrument funktionieren könnte, das Gerechtigkeit schafft. Steuern und Abgaben sind lediglich Ausdruck eines gesellschaftlichen Teilungsprinzips. Je nachdem, wie man das gesellschaftliche Vermögen einsammelt und wieder aufteilt, entsteht dabei Gerechtigkeit oder eben nicht. Deswegen kann und darf man nicht gedanken-, sprach- und tatenlos zusehen, wie ein ungerechtes System weitere Ungerechtigkeiten verursacht. Angesichts der wachsenden Armut in Deutschland, der schlechten Bildung, der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich und einer Vielzahl von »Einzelfällen« alltäglicher Demütigungen und Würdelosigkeiten, die er über die Jahre beobachtet hat, braucht es – das war dem Autodidakten und Chef eines 30000 MitarbeiterInnenstarken Handelsunternehmens klargeworden – dringend neue Ideen.
Und so stellte sich Götz Werner am Ende seiner Überlegungen, auf der Basis vollkommen unterschiedlicher Erfahrungen, fast dieselbe Frage wie Adrienne Goehler: Was wäre, wenn die Existenz eines jeden Bürgers garantiert und bedingungslos durch ein existenzsicherndes Grundeinkommen gesichert wäre?
Wir trauen uns
Im Herbst 2007 trafen wir im Freiburger Stadttheater erstmals zusammen, eingeladen vom dortigen Unabhängigen Kulturrat, der ahnte, dass es zwischen uns beiden funken könnte. An einem kalten, düsteren Werktag im November referierten wir unsere jeweiligen Zugänge zum Grundeinkommen und nahmen wahr, dass unsere Fragen und Erfahrungen trotz grundverschiedener Hintergründe ineinander griffen.
Der eine, Unternehmer, ökonomisch mit der Freiheit und Macht ausgestattet, das denken, sagen und auch vieles davon erproben zu können, was er will, hatte sich das bedingungslose Grundeinkommen längst zur lebenslänglichen Forschungsfrage gemacht. Die andere zögerte noch
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