1001 - Der Alptraum beginnt
ungewöhnliche Lichtaura umspielte sie, als befänden sich die beiden auf dem Weg ins Jenseits. Beide streckten ihre Arme nach mir aus, um mich zu holen. Ob sie mich erreichten, bekam ich nicht mit. Zumindest nicht sofort, denn eine Stimme – Donatas Stimme – sprach dazwischen, und sie flüsterte mir wieder den Fluch der Sinclairs ins Ohr.
Ich zitterte im Schlaf oder im Traum. Der Fluch der Sinclairs, der Tod, Donata als Schattenfrau. Es gab da einen Zusammenhang, und von irgendwoher erreichte mich auch eine Stimme, deren Klang voll in meine Ohren blies. Sie sprach davon, daß kein Mensch der Welt das Rätsel der Lade lösen dürfe, auch ein Sinclair nicht niemand, denn dieses Geheimnis würde ewig bleiben.
»Dann lasse ich es!« schrie ich im Traum. »Dann lasse ich es. Ich will es ja nicht.«
Blut tropfte herab. Auch in der Nähe der Totenfrau, die ein paar Tropfen mitbekam. Sie fielen gegen ihr von der Folter gezeichnetes Gesicht, vereinigten sich und rannen schließlich in langen Bahnen daran nach unten.
»Das Blut der Sinclairs…«, hörte ich Donata sprechen. »Es wird das Blut der Sinclairs vergossen …«
Nein – nein!
Zuerst war es nur ein Gedanke, aber dieser Gedanke verstärkte sich, so daß er sich in einen akustischen Ausdruck verwandelte.
Jemand schrie: »Nein, nein! Bitte nicht!« Und dieser Mann hatte meine Stimme.
»Ruhig, John – ruhig. Es wird dir nichts geschehen. Du kannst hier sicher sein, glaube es mir.«
Ich schreckte hoch. Nicht durch meine Stimme, sondern weil mich jemand angesprochen hatte.
Als ich die Augen öffnete, war ich gezwungen, sie rasch wieder zu schließen, da mich das Licht der Lampe traf. Es war zwar ein weiches Licht, aber mir kam es grell vor und schmerzte zudem.
»Okay, John?«
Jetzt öffnete ich die Augen langsamer. Mit dem Blick war ich dem Klang der Stimme gefolgt, und ich schaute in das markante und vom Leben gezeichnete Gesicht des Freundes Abbé Bloch, der mich zwar besorgt anblickte, die Lippen aber zu einem weichen Lächeln verzogen hatte.
»Mein Gott«, sagte ich…
»Du bist hier in Sicherheit, John. Keiner will dir etwas tun, glaube mir.«
Ich glaubte, den Geruch von frisch gekochtem Kaffee wahrzunehmen.
Darüber dachte ich nicht nach, da ich mich noch zu sehr mit meinem Traum beschäftigte.
»Nein, will es nicht«, murmelte ich und schüttelte den Kopf. »Niemand soll sterben – niemand.«
»Es wird auch keiner sterben, John. Du bist hier bei uns. Du hast geschlafen und sicherlich schlecht geträumt.«
Ich wischte über meine Augen. Dann murmelte ich: »Geträumt?«
»Sicher, John, es war ein Traum…«
Mein Arm sank langsam nach unten. Erst jetzt wurde mir klar, wo ich mich befand, und ich sah auch, wer neben dem Tisch stand und auf mich niederblickte.
»Abbé«, murmelte ich.
»Ja, ich bin bei dir. Ich war schon früher hier, aber da hast du noch geschlafen.«
»Ja, geschlafen!« bestätigte ich und nickte dabei. »Aber nicht nur das. Ich habe auch geträumt. Ich war irgendwie kaputt.« Über mich selbst schüttelte ich den Kopf.
»Der Schlaf hat dir bestimmt gutgetan.«
»Das kann man wohl sagen, obwohl ich auch geträumt habe, was mir weniger gefiel. Alpträume, Abbé, furchtbare Alpträume.« Ich schlug für einen Moment die Hände vor mein Gesicht. Als ich sie wieder wegnahm, stand der Abbé nicht mehr neben mir, sondern saß mir gegenüber.
»Vergiß sie, John.«
Ich quälte mir ein Lächeln ab. »Kann man das denn? Sie waren einfach zu mies, zu bedrückend, und grauenvoll. Sie haben mich wieder an den Fluch der Sinclairs erinnert.«
Der Abbé runzelte die Stirn. »Fluch der Sinclairs?«
»Ja, den gibt es leider. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, aber man hat davon gesprochen.«
»Das hört sich schlecht an, wenn auch interessant. Aber tu mir einen Gefallen und laß uns zunächst nicht darüber sprechen. Es gibt jetzt andere Dinge, die wichtig sind. Besonders für dich, John Sinclair.« Der Abbé lächelte und wies auf den gedeckten Tisch zwischen uns. Ich hatte, nicht gesehen, wie die frischen Croissants, die Konfitüre und die Butter gebracht worden waren. Ein Teller, eine Tasse, ein Besteck, Orangensaft, das alles stand zum Greifen nahe vor mir.
»Danke«, sagte ich leise, »das ist gut.«
Der Abbé schenkte mir zuerst Kaffee ein. »So war es doch abgemacht, John.«
»Das stimmt.«
»Und jetzt werden wir beide in aller Ruhe frühstücken, alles andere vergiß mal.«
»Wenn das so einfach
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