1001 Kuss - und dann Schluss
erwartet wurden.
„He, was ist los?“, fragte ihre Kollegin Fiona, die ebenfalls in dem Nobelchalet arbeitete und sich gern eine halbe Stunde früher in den Feierabend verabschiedete. „Nach deiner Miene zu urteilen, stehen uns schwierige Gäste ins Haus.“
„Halb so wild.“ Geistesabwesend schaute Lucy in die Flammen des duftenden Kaminfeuers, das sie kurz zuvor entzündet hatte. Vor einigen Minuten hatte sie noch im siebten Himmel geschwebt, weil ihre Kollegen und Chefs sie zur Mitarbeiterin des Jahres gewählt hatten. Die Würdigung ihrer Arbeit im Chalet bedeutete ihr sehr viel. Außerdem war dies ihre erste Auszeichnung. Aber neben dem Glückwunschschreiben steckte die Liste mit den Vorlieben der Gäste, die sich für eine Woche im Chalet eingemietet hatten. Ein Blick darauf, und ihr Hochgefühl verschwand wieder.
Thomas Spencer-Dayly: keine besonderen Wünsche
Sheridan Dalgleath: Porridge mit Salz, Single Malt Whisky und Rindfleisch nur von
Aberdeen Angus Rindern
William Montefiori ausschließlich frisch hergestellte Pasta
Theo Constantine: guter Champagner – und viel davon
Ein weiterer Gast
Der letzte Eintrag beunruhigte sie. Unwillkürlich erschauerte sie. Außerdem stand auf der Liste, dass die Gruppe von zwei Leibwächtern begleitet wurde. Der eine sollte im obersten Stockwerk untergebracht werden, sein Kollege im kleinen Gästezimmer gegenüber dem Skiraum.
Offenbar handelte es sich um hochkarätige Kunden, wenn sie sogar ihre eigenen Bodyguards mitbrachten. Genau das bereitete ihr Kopfzerbrechen. Allerdings fragte sie sich jedes Mal, wenn sie so eine Liste in der Hand hielt, ob sie den Ansprüchen der Gäste genügen würde. Denn ihr Ziel war es, die Erwartungen ihrer Kunden zu übertreffen.
Trotzdem: So unsicher hatte sie sich noch nie gefühlt. Noch einmal überflog sie die Liste. So außergewöhnlich waren die Wünsche nun auch wieder nicht. Das war alles machbar. Und doch blieb ein ungutes Gefühl.
Energisch versuchte sie, sich zu beruhigen. Sie arbeitete in einem der teuersten Chalets, die man in einem der exklusivsten Skiorte der Welt mieten konnte. Sie war den Umgang mit reichen Gästen gewohnt und wusste mit ihnen und ihrer Entourage umzugehen. Außerdem war diese Gruppe vergleichsweise übersichtlich und stellte wirklich keine übertriebenen Ansprüche. Aus Erfahrung wusste sie, dass eine Männergruppe sowieso die meiste Zeit auf den Skihängen verbrachte. Sie würde sie also nur zu den Mahlzeiten sehen. Viel gutes Essen, heiße Duschen, saubere Handtücher und Drinks, wenn sie vom Skilaufen zurückkehrten – mehr wurde vermutlich nicht von ihr verlangt. Da sie unter Brüdern aufgewachsen war, kannte sie sich im Umgang mit Männern aus.
Wahrscheinlich haben die Gäste alle exklusive Internate besucht, vermutete Lucy und studierte erneut die Namen. Ein Gast wollte inkognito bleiben. Dafür konnte es verschiedene Gründe geben – und keiner ging sie etwas an.
Sie strich sich eine honigblonde Strähne aus dem Gesicht und wusste plötzlich, was sie so beunruhigte. Der handschriftliche Vermerk ganz unten auf der Liste. Dort stand: „Wenn jemand dieser Gruppe gewachsen ist, dann du, Lucy.“ Übersetzt bedeutete es, dass man von ihr erwartete, gelassen auf die Sonderwünsche der Gäste zu reagieren.
Lucy Tennant war nämlich nicht nur eine Sterneköchin, sondern auch ein ruhiges, bescheidenes Mädchen, das stolz darauf war, im exklusivsten Chalet der Firma zu arbeiten. Sie arbeitete nicht nur sehr hart, sondern beschwerte sich auch nicht. Ihre Vorgesetzten wussten das. Aber dieses Mal verschwiegen sie ihr etwas, das spürte sie.
Nun, sie würde es noch früh genug erfahren. Schluss mit den Überlegungen. Es wurde Zeit, sich an die Vorbereitungen zu machen. Da Fiona sich lieber vergnügte, als den ganzen Tag im Chalet zu arbeiten, blieb mehr Arbeit an Lucy hängen. Dabei hätte sie auch gern die kristallklare Alpenluft genossen.
Sie schob den elegant geschnitzten Stuhl zurück und ging zum Fenster. Nachdem sie die kirschroten Vorhänge etwas weiter über die Spitzengardine gezogen hatte, blickte sie sehnsüchtig hinaus. Es war wirklich ein Jammer, so einen perfekten Tag zum Skilaufen im Haus verbringen zu müssen. Aber die Arbeit machte sich nicht von allein.
Außerdem liebte sie ihre Arbeit. Und hier zu arbeiten, wo sie die Freiheit der Berge, die Stille, die Weite und die berauschende Luft förmlich schmecken konnte, bedeutete ihr sehr viel.
Allerdings war sie hier auch
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