1001 Nacht mit dem Wüstenprinzen
Kontrolle über ihr Leben drohte ihr zu entgleiten. Eine innere Stimme meldete sich. Was für ein Leben führst du eigentlich? Sie vergrub sich in der Bibliothek und verdrängte den Wunsch nach Kontakten mit anderen Menschen. Längst konnte sie sich nicht mehr einreden, vor ihrer Stiefmutter zu flüchten. Die Frau war tot und würde sie nicht mehr drangsalieren.
Dennoch fürchtete Samia sich davor, aus ihrer behüteten Zufluchtswelt herauszutreten. „Wieso glauben Sie, ich könnte Ihnen eine gute Frau … die Richtige für Sie sein?“, wagte sie sich stockend vor.
Der Sultan schob die Hände in die Hosentaschen und wippte auf den Fersen; er wirkte jetzt noch größer und bedrohlicher.
„Sie sind intelligent und diskret, machen sich nichts aus der Presse und haben es bisher vortrefflich verstanden, sich aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Ich halte Sie für eine Frau, die sich ernsthaft mit den Dingen auseinandersetzt, vor allem, nachdem ich letzten Monat Ihren Artikel im Archivar gelesen habe.“
Samia empfand es keineswegs als schmeichelhaft, dass der Sultan sich die Mühe gemacht hatte, sie zu überprüfen. Ein Artikel im Archivar bestätigte nur einmal mehr, wie langweilig sie war. Musste der Mann sie auch noch daran erinnern, dass Welten sie trennten? Er war ein Playboy! Bei der bloßen Vorstellung, als seine Frau überall im Kreuzfeuer der Medien zu stehen, wurde ihr elend. Ständig kritisch beobachtet zu werden, war demütigend.
Unerbittlich wie eine heranrollende Flutwelle fuhr Sadiq fort. „Vor allem aber sind Sie eine Prinzessin aus einer der ältesten Königsfamilien Arabiens und somit dazu geboren, Königin zu sein. Sollte Ihrem Bruder morgen etwas zustoßen, wären Sie die nächste Thronanwärterin. Und wenn wir verheiratet wären, müssten sie diese Bürde nicht allein tragen. Dann würde ich sicherstellen, dass Burquat als Emirat weiterbesteht.“
Samia wurde es eiskalt. Natürlich wusste sie, dass sie die Nächste in der Thronfolge von Burquat war, aber eigentlich hatte sie nie weiter darüber nachgedacht, was das bedeutete. Kaden erschien ihr so unbesiegbar, dass sie eine derartige Zwangslage nie für möglich gehalten hatte. Aber letztlich hatte Sultan Sadiq recht. Sie befand sich in einer äußert verletzbaren Lage. Theoretisch kannte sie die Grundlagen des Regierens, doch die Praxis mochte ganz anders aussehen. Außerdem wusste sie, dass es für sie nur wenige Ehekandidaten gab, die Burquats Unabhängigkeit gewährleisten würden. Al-Omar war ein großes aufsteigendes Land, und der Umstand, dass der Sultan es nicht nötig hatte, seine eigene Macht durch die Angliederung eines kleineren Emirats zu stärken, gab Samia zu denken. Alles das hatte sie nicht erwartet.
Um sich ihren Gefühlstumult nicht anmerken zu lassen, ging Samia zum Fenster und blickte auf die gepflegten Grünanlagen hinaus. Die heitere, typisch englische Atmosphäre hätte sie normalerweise beruhigt.
Doch im Moment fühlte sie sich atemlos und überrannt. Jeder musste irgendwann im Leben eine kritische Entscheidung treffen, und an diesem Punkt stand sie jetzt. Blieb ihr überhaupt eine andere Wahl?
Hilflos drehte sie sich wieder um. „Das alles kommt für mich viel zu schnell, und ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll“, gestand sie dem Sultan. „Gestern musste ich nur über das Angebot nachdenken, nach Burquat zurückzukehren, um beim Aufbau der Nationalbibliothek zu helfen, und jetzt … soll ich Königin von Al-Omar werden.“ Gequält blickte sie ihn an, und wieder musste sie feststellen, wie erstaunlich blau seine Augen waren. „Ich kenne Sie ja nicht einmal.“
Sadiqs Miene nahm einen ungeduldigen Ausdruck an, und sein Blick überschattete sich. Es erschreckte Samia, wie leidenschaftslos und kühl er diese Dinge von letztlich so enormer Tragweite anging.
„Um uns kennenzulernen, bleibt uns ein ganzes Leben Zeit. Nicht warten kann dagegen jedoch, dass ich jetzt heiraten und Erben haben muss. Und eins weiß ich genau, Prinzessin Samia: Sie sind für diese Stellung geboren.“
Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was in ihr vorging. Das sagte der Sultan nur, weil er glaubte, sie würde eine gute Ehefrau und Königin abgeben. Und weil er ein Mann war, den ein Nein nicht abschrecken konnte. Fast hätte sie geschmunzelt. Er erinnerte sie stark an ihren befehlsgewohnten Bruder.
Eins wusste sie: Es gab genug Frauen, die sie bedenkenlos über den Haufen gerannt hätten, um einen Heiratsantrag
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